/Skigebiet Charmey: Viel Geld für wenig Schnee

Skigebiet Charmey: Viel Geld für wenig Schnee

Kurz bevor die Entscheidung fällt, zieht sich die Finanzkommission zur
Beratung in den Materialraum zurück. Die Anspannung der 326 Stimmberechtigten in der Turnhalle
von Charmey entlädt sich. Die einen drehen sich zum Sitznachbarn und plaudern los, andere
eilen aus dem Saal, paffen vor der Tür schnell eine Zigarette im nächtlichen Schneegestöber.
“Endlich ist er da, der Schnee”, sagt ein Raucher mit Schnurrbart und Daunenjacke und schaut
auf die umliegenden Freiburger Voralpen.

Der Schnee, dessentwegen sie an diesem Montagabend Mitte Januar alle hier sind. Der Schnee, auf den sie auch dieses Jahr zu lange gewartet haben. Der Schnee, der die Zukunft ihres Dorfes mehr beeinflusst als alles andere. Der Mann mit dem Schnurrbart und die 325 anderen Stimmbürger sind an diesem Abend in die Turnhalle gekommen, um über das Schicksal ihrer Seilbahnen zu entscheiden. 250.000 Franken sind im Jahresbudget der 2.500-Einwohner-Gemeinde Val-de-Charmey als Beitrag für die “Télécabine de Charmey les Dents-Vertes SA” vorgesehen. Viel Geld, mit dem nichts Neues gebaut, sondern Altes am Leben erhalten wird.

Mit dem Geld sollen die Gondelbahn, der Sessellift und die zwei Bügellifte am 1630 Meter hohen Hausberg Vounetz bis Ende Winter weiterbetrieben werden können. Lehnen die Charmeysan den Staatsbeitrag ab, stehen die Bahnen Ende Januar für immer still.

1.630 Meter über dem Meer, eigentlich wissen es alle: In dieser Höhe fällt heutzutage zu wenig Schnee für eine Anlage dieser Größe. Im Jahr 2017 konnten die Skifahrer und Snowboarder die Pisten gar nur an 48 Tagen nutzen. Bereits 2003 richtete die Gemeinde einen Fonds ein, mit dem sie das jährliche Defizit der Seilbahnen von einer Viertelmillion Franken ausgleichen wollte. Doch die Aktiengesellschaft rutschte immer tiefer in die roten Zahlen. 2016 musste die Gemeinde 900.000 Franken aufbringen, um die Bahnen zu retten.

Christophe Valley versucht seit sechs Jahren die Seilbahnen aus ihrer Abhängigkeit vom Schnee zu befreien. Wenige Stunden vor der schicksalshaften Gemeindeversammlung sitzt der Tourismusdirektor, ein rundlicher Mann mit freundlichem Gesicht, im kleinen Tourismusbüro unweit der Talstation. In den dunkel getäferten Raum würden kaum zwei der Gondeln passen, die man durchs Fenster hinter ihm hoch zur Bergspitze schweben sieht. “Immer weniger Schneetage, immer weniger Skifahrer. Wir müssen den Tourismus stärker auf alle vier Jahreszeiten ausrichten”, sagt Valley. Das 2007 eröffnete Thermalbad “Les Bains de la Gruyère” ziehe bereits jetzt das ganze Jahr über viele Gäste an, in Zukunft solle das aber auch für den Vounetz und die Seilbahnen gelten.

So wie Charmey geht es vielen Skigebieten in den Voralpen. Der Thinktank Avenir Suisse zeichnet in einer Analyse ein düsteres Bild. Wenn es so weitergeht, verschwindet der Schneesport in den nächsten 20 bis 30 Jahren größtenteils aus den Schweizer Alpen. Neben dem starken Franken sind drei Megatrends dafür ausschlaggebend: Die Klimaerwärmung verkürzt die Schneesaison. 1970 fing diese zwölf Tage früher an und hörte 25 Tage später auf, dauerte also einen guten Monat länger als heute. Hinzu kommen die Digitalisierung des Tourismusmarktes, die die Preise drückt, und der Umstand, dass immer weniger Menschen Wintersport treiben.

Für Christophe Valley heißt das: weniger Winter, mehr Sommer. Er hat den Hausberg zum Traditionsberg, also zur “Montagne des Traditions” erklärt. Dort oben können Touristen die Sennen in den Alphütten beim Käsen beobachten, ein Patois-Festival erinnert an den fast ausgestorbenen französischen Dialekt, der hier noch gesprochen wird. Aber auch Trottibike-Touren, Brennnesselfeste, Husky-Wanderungen und Konzerte auf der Eisbahn gehören zum Konzept. Zu den Übernachtungsmöglichkeiten im Dorf, die es heute gibt, sollen 100 Betten in Chalets und Jurten auf dem Vounetz hinzukommen. Im Moment wartet man bei der Gemeinde auf die Bewilligung des Kantons.

Die Pläne des Tourismusdirektors decken sich in vielem mit den Empfehlungen von Avenir Suisse. Der Thinktank rät zu radikalem Umdenken. Und dazu, sich an der wichtigsten Zielgruppe – den Städtern – zu orientieren. Ihre “Sehnsucht nach Authentizität” solle befriedigt werden, ihr “Bedürfnis nach Natur”. Das heißt: Bergyoga und Wellness statt Massenauflauf am Sessellift, Wanderung zum Fondue-Chalet statt Halligalli beim Après-Ski, Slowfood statt Hotelbunker und Selbstbedienungs-Schnipo. Wichtig wäre aber auch, dass die Wintersportorte sich nicht gegenseitig konkurrenzieren, sondern zusammenspannen. Ein Thermalbad pro Region, mit dem alle umliegenden Orte werben, das reicht. Es muss nicht jede Gemeinde ihr eigenes bauen.

Das Herzstück in Tourismusdirektor Valleys Strategie ist die Gondelbahn vom Dorf auf den Vounetz. Die restlichen Lifte sind eigentlich überflüssig: “Im Moment müssen wir zwölf Pisten unterhalten. Die Personal- und Unterhaltskosten dafür sind viel zu hoch.” Valley sieht Charmey als familiäreres Skigebiet für Einsteiger, das auf den teuren Sessellift verzichtet und stattdessen mit einer Gondelbahn und günstigen Bügelliften auskommt.

Aber eigentlich könnte Charmey ganz auf den alpinen Wintersport verzichten. Nur zehn Fahrminuten vom Dorf entfernt befindet sich das Skigebiet Jaun, wo Beschneiungsanlagen auch in schlechten Wintern künstlichen Schnee auf die Hänge schleudern.

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