/Rolf Kalb: “Eine Insel der Entschleunigung”

Rolf Kalb: “Eine Insel der Entschleunigung”

Weil es keinen überragenden deutschen Snooker-Spieler gibt, wurde ein Kommentator in Deutschland eben Gesicht und Stimme des Sports. Rolf Kalb, Jahrgang 1959, steht auch bei den German Masters, die bis zum 3. Februar im Berliner Tempodrom ausgetragen werden, im Mittelpunkt einer Begeisterung um die britischste aller Billardvarianten.

ZEIT ONLINE: Herr Kalb, Sie haben bei den German Masters im Snooker wieder jede Menge zu tun: Kommentieren live für Eurosport, interviewen die Sportler in zwei Sprachen und führen das Publikum im Tempodrom als Master of Ceremonies durchs Turnier. Wie geht das alles gleichzeitig?

Rolf Kalb: Diese Herausforderung macht mir sehr viel Spaß. Die Arbeit eines TV-Kommentators ist ja tendenziell eher einsam: Man sitzt in der Box und möchte die Zuschauer unterhalten und informieren. Da fehlt unmittelbare Rückmeldung, trotz unserer Twitter-Angebote. Als MC arbeite ich direkt am Publikum und spüre unmittelbar, ob das ankommt. Dazu herrscht in Berlin eine tolle Atmosphäre. Wer das nicht genießen kann, dem ist nicht zu helfen.

ZEIT ONLINE: Ihre Sprecherbox wird in der Szene als “Rolfs Schwarzwaldhäuschen” gehandelt. Wer hat diesen Ausdruck eingeführt?

Kalb: Das kam von den Snooker-Fans und ging irgendwann herum. Ich hab’ keinen blassen Schimmer, wer die Urheberrechte hat.

ZEIT ONLINE: Umso mehr belegt es Ihren Kultstatus in der Fangemeinde: Ihre Stimme und Snooker gehören seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten zusammen. Sind Sie in Ermangelung deutscher Stars an den Tischen eventuell eine Art Star in Vertretung?

Kalb: Ich habe immer ein bisschen Bauchschmerzen bei dem Begriff “Kult”, denn da kann man sehr tief fallen. Aber ich bin froh und glücklich über diese Wertschätzung. Ein Grund ist vielleicht, dass es den viel zitierten Boris Becker im Snooker noch nicht gibt. Dann sind die Übertragungen kein kurzes Vergnügen. Ich bin über viele Sendestunden im Wohnzimmer der TV-Zuschauer zu Gast, das fühlt sich irgendwann wohl so an, als sei ich Teil der Familie. Außerdem merkt man mir die Begeisterung schnell an. Das beeinträchtigt ja nicht meine Unabhängigkeit. Im Gegenteil: Wie könnte ich die Zuschauer faszinieren, wenn ich selbst nicht fasziniert wäre?

ZEIT ONLINE: Wie kann man Snooker-Partien über einen so langen Zeitraum mit derselben Begeisterung, also ohne Abnutzungseffekte, kommentieren?

Kalb: Ehrlich gesagt fällt es mir die Antwort darauf schwer. Ich habe da keine spezielle Technik, das kommt alles ganz ungekünstelt heraus. Für mich ist jedes Match wieder eine komplett neue Geschichte. Ein neuer Roman, der sich vor meinen Augen entfaltet.

ZEIT ONLINE: Es gibt in Deutschland offenbar nur zwei Sorten von Menschen, was Snooker-Billard betrifft: Die einen sind enthusiastische Anhänger, die anderen nehmen keine Notiz davon. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Kalb: Ich sage immer: Wen der Virus mal gepackt hat, den hat er richtig gepackt … Das Grundprinzip im Snooker kann jeder, der nicht nach 20 Sekunden wegzappt, relativ einfach verstehen. So kann man schnell mitfiebern, und der Rest entwickelt sich.

ZEIT ONLINE: Sie erwähnen in ihrem Buch die spezielle Ausstrahlung eines Gentlemansports: Spieler mit Weste, Fliege und bestem Benehmen, wenig Lärm oder Action. Ist das Gediegene der wahre Charme des Snooker?

Kalb: Bei einem Sportsender erwartet man eigentlich, dass da junge Leute in kurzen Hosen schweißtreibende Dinge tun – und dann sieht man plötzlich nicht mehr ganz so junge Herren mit Weste und Fliege. So etwas macht neugierig. Viele genießen das als eine Insel der Entschleunigung. Auf der anderen Seite kann so ein Match eine ungeheure Dramatik entwickeln. Es ist ja nicht so, als würde da gar nichts passieren.

ZEIT ONLINE: Was wäre denn, wenn der Boris Becker des Snooker tatsächlich mal auftauchte?

Kalb: Das würde die Aufmerksamkeit noch mal erheblich steigern, keine Frage. Andererseits: Was ist denn in Deutschland nach Becker, Stich und Graf mit Tennis passiert? Der Boom fiel komplett in sich zusammen. Es gab ein paar fette Jahre, aber besonders nachhaltig war das nicht.

ZEIT ONLINE: Sollte man sich lieber freuen, dass der kleine TV-Boom um Snooker auch ohne deutsche Helden funktioniert?

Kalb: Das Interesse, das wir jetzt haben, hängt nicht an einzelnen Sportlern oder der Farbe ihres Passes. Es ist in ein genuines Interesse, und das halte ich für eine viel stabilere Basis als jeder künstlich aufgeblähte Boom.

ZEIT ONLINE: Trotzdem: Was fehlt den besten deutschen Jungprofis, also Lukas Kleckers und Simon Lichtenberg, um sich in der Elite der Main Tour zu behaupten? Oder ist das völlig aussichtslos?

Kalb: Es ist zumindest sehr, sehr schwer. Da sind noch einige Schritte zu gehen, und jeder ist schwerer als der vorige. Diese Erfahrung machen alle. Selbst ein Neil Robertson (Weltmeister 2010, d. Red.) hat mehrere Anläufe gebraucht. Man muss das entsprechende Umfeld haben, der Karriere alles unterordnen und einen sehr guten Trainer haben, der einen entscheidend weiterbringt. Diese Faktoren sind bei Lucas und Simon in dem Maße nicht gegeben.

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