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Arbeitsbedingungen: “Das, was Deliveroo macht, ist rechtswidrig”

Fahrerinnen und Fahrer von Deliveroo und Foodora kritisieren immer wieder die Arbeitsbedingungen bei den Lieferdiensten. Unter anderem beschwerten sie sich in der Vergangenheit darüber, dass ihre Mitbestimmung vom Arbeitgeber beschnitten werde – etwa dadurch, dass befristete Verträge von Betriebsräten auslaufen gelassen worden seien. Oder dass die Reparaturkosten der Räder nicht bezahlt würden. Nun hat erstmals eine wissenschaftliche Studie die Arbeitsbedingungen
der Fahrerinnen und Fahrer beider Unternehmen untersucht. Die
Rechtswissenschaftlerin Eva Kocher war an der Studie der Hans-Böckler-Stiftung beteiligt.

ZEIT ONLINE: Frau Kocher, bestellen Sie ab und zu bei Deliveroo oder Foodora?

Kocher: Nein, das habe ich tatsächlich noch nie gemacht.

Prof. Dr. Eva Kocher lehrt an der Juristischen Fakultät der
Europa-Universität Viadrina. Zusammen mit ihren Kolleginnen untersuchte sie die Apps, mit denen die Arbeitsprozesse bei Foodora und Deliveroo organisiert werden. Das Forscherinnenteam befragte dazu Fahrerinnen und Fahrer, Vertreter beider Unternehmen sowie Gewerkschafter.

© b7k photography

ZEIT ONLINE: Ob über zu viel Stress oder unerwartete Kündigungen, Essenslieferanten beklagen viel an ihren Arbeitsbedingungen. Wie kam es, dass Sie ausgerechnet die Autonomie der Fahrerinnen und Fahrer untersucht haben?

Kocher: Sozialwissenschaftlich ist das Thema relevant, weil viele Theorien davon ausgehen, dass mit der Digitalisierung der Arbeit der Autonomiegrad ansteigt. Auch Foodora und Deliveroo werben mit einer hohen Autonomie ihrer Fahrerinnen und Fahrer. Das wollten wir uns genauer anschauen und haben die App der Fahrerinnen und Fahrer untersucht. Wir haben geahnt, dass sie eine zentrale Rolle für die Autonomie spielt.

ZEIT ONLINE: Was ist das für eine App?

Kocher: Bei Deliveroo heißt sie Rider-App und bei Foodora Road-Runner-App. Die Fahrerinnen und Fahrer laden sich die App auf ihr Handy und bekommen über sie ihre Aufträge erteilt. Die gesamte Essenslieferung wird über die App organisiert. Die Fahrerinnen und Fahrer sprechen also nie mit ihrem Arbeitgeber über ihre Arbeit oder ihre Dienstpläne.

“Die Unternehmen arbeiten mit einem Bewertungssytstem für ihre Fahrerinnen und Fahrer.”

Prof. Dr. Eva Kocher, Juraprofessorin

ZEIT ONLINE: Auf der Recruitment-Webseite verspricht Deliveroo “Working with Deliveroo gives you flexibility and independence”. Auch Foodora wirbt mit Sätzen wie “have a super flexible job”. Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? Sind die Fahrerinnen so autonom, wie die Unternehmen behaupten?

Kocher: Das hängt natürlich davon ab, was man unter Autonomie versteht. Zum einen bedeutet es, eine hohe Arbeitszeitflexibilität zu haben, also selbst bestimmen zu können, wann man arbeitet. Zum anderen bezieht sich Autonomie darauf, ob ich selbst entscheiden kann, wie ich meine Arbeit gestalte. Beides ist bei Foodora und Deliveroo bei genauer Betrachtung nicht der Fall.

ZEIT ONLINE: Sondern?

Kocher: Die Unternehmen arbeiten mit einem Bewertungssystem für ihre Fahrerinnen und Fahrer. Je besser man abschneidet, desto früher darf man sich für die zu vergebenden Arbeitszeiten eintragen. Bei Foodora werden die Schichten an drei Tagen vergeben. Am Montag dürfen die Fahrer aus der besten Gruppe ihre Schichten wählen. Am Dienstag werden die Schichten, die übrig sind, für die nächste Gruppe freigeschaltet und am Mittwoch darf die letzte Gruppe wählen. Fahrerinnen, die erst Dienstag oder Mittwoch dran sind, haben also keinen Einfluss darauf, wann sie arbeiten. Bei Deliveroo läuft es ähnlich. 

“Jeder einzelne Arbeitsschritt wird durch die App vorgegeben und kontrolliert.”

ZEIT ONLINE: Wonach wird entschieden, wer in welche Gruppe kommt? 

Kocher: Beide Unternehmen haben ihr eigenes Bewertungssystem, das auf Informationen basiert, die in der App erhoben werden. Als wir die Interviews im Frühjahr 2018 geführt haben, zählte bei Foodora zu 30 Prozent, ob man am Wochenende nach 20 Uhr Schichten übernommen hat, zu 25 Prozent die durchschnittliche Wochenarbeitszeit und wiederum zu 25 Prozent, ob man Schichten versäumt hat. Zu 5 Prozent zählte, ob man sich zu spät eigeloggt hat, zu 10 Prozent, inwieweit man von Vorgaben abgewichen ist und zu 5 Prozent, wie lange man schon dabei ist. Deliveroo hatte eine andere Gewichtung. Außerdem ändern beide Unternehmen ihre Gewichtung häufig. Das heißt, die Fahrer wissen selbst nicht, wie sie sich verhalten müssen, um in die beste Gruppe zu kommen.

ZEIT ONLINE: Die Fahrerinnen können also nicht durchschauen, nach welchen Kriterien sie bewertet werden und wie dementsprechend Schichten vergeben werden, sagen Sie. Inwiefern sind die Fahrerinnen darüber hinaus in ihrer Autonomie eingeschränkt?

Kocher: In ihrer konkreten Arbeitsausführung. Jeder einzelne Arbeitsschritt wird durch die App vorgegeben und kontrolliert. Die Fahrerinnen bekommen über die App ein Angebot für einen Auftrag. Dann müssen sie entscheiden, ob sie die Tour annehmen, das ist ein Klick. Sind sie im Restaurant eingetroffen, wieder ein Klick. Wenn sie das Essen erhalten haben, der nächste Klick. Beim Kunden angekommen, der nächste. Die Fahrer müssen also alles, was sie tun, in der App eingeben.

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