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Observatorium Sonnblick: Ihr Büro ist in den Wolken

Wo Lawinen Namen haben, ist Elke Ludewigs Arbeitsplatz. “Bruderhof-Lahn”
heißt eine besonders gefährliche. Wenn sie geladen ist, dann steht das Rauriser Tal still,
dann kommen die drinnen nicht mehr raus, die draußen nicht mehr hinein.

Ludewig, die Leiterin des Sonnblick Observatoriums, war draußen, als nach den massiven Schneefällen in der vergangenen Woche die höchste Lawinenwarnstufe fünf ausgerufen wurde und das Tal dem Kommando der Lawine gehorchen musste. Auch der Meteorologin diktierte das den Arbeitstag: Stadtbüro in der Wetterdienststelle Salzburg statt Forschungsstation am Sonnblick-Gipfel. Knarzende Parkettböden statt Windrauschen. Stöckelschuhe statt Bergstiefel. Leinenkostüm statt Daunenjacke.

Das Sonnblick Observatorium auf 3106 Meter Höhe ist mehr als eine Wetterwarte. Hier werden Klimaveränderungen und Gletscherentwicklung ebenso beobachtet wie die kosmische Höhenstrahlung. Als internationales Forschungszentrum ist es Teil eines weltweiten Verbunds von Beobachtungsstationen. Das ganze Jahr über ist das Observatorium mit zwei “Wetterwarten”, besetzt. Die Chefin müsste nicht jede Woche raufkommen, aber sie will: “Es ist gut, wenn die Techniker merken, da ist wer da, die vom Fach ist, die auf das Ganze schaut”, sagt Ludewig in ihrem von der “Lahn” aufgezwungenen Büroexil.

Von der Antarktis zum Sonnblick

Der Raum ist funktional ausgestattet, keine Bilder, kein Schnickschnack, keine Staubfänger, die etwas anderes als Arbeitsplatz signalisieren oder etwas über Interessen, Vorlieben oder Geschmack von Ludewig aussagen könnten. Bunt, vielschichtig und emotional, sonnig, wolkig, windig, stürmisch und eisig wird es in dem Büro erst, wenn Ludewig von der Nordsee oder der Antarktis zu erzählen beginnt und natürlich von ihrem “großen, schönen wissenschaftlichen Spielplatz”, dem Sonnblick, ihrer ersten Liebe, auf dem ihre Leidenschaft für die Meteorologie zu erglühen begann.

Als Fünfjährige las die gebürtige Münchnerin bei einem Großeltern-Besuch in Salzburg das Buch
Der Sonnblick ruft,
eine 1952 erschienene Mischung aus Abenteuerroman, Liebesdrama und Observatoriums-Geschichte. Der Rauriser Romanheld, der von den Forschern am Sonnblick inspiriert das Tal verlässt, in der Fremde Meteorologie studiert, um danach wieder zur Wetterwarte zurückzukehren, faszinierte das Mädchen. Im Sommer nach der Lektüre bestieg es mit ihrer Mutter den Gipfel. Oben angekommen, habe sie beschlossen, Meteorologin zu werden, erzählt Ludewig. Durch das Studium in Hamburg mit viel Mathematik, Physik und Informatik biss sie sich durch, internationale Konferenzen und Praktika auf der ganzen Welt folgten.

Als ihr Traumjob am Sonnblick ausgeschrieben wurde, war sie weg. Weit weg, am Ende der Welt, in der Antarktis. Draußen, neben der meteorologischen Station Neumayer, zogen Kaiserpinguine bei bis zu minus 40 Grad Celsius ihre Jungen auf; drinnen setzte Ludewig zum Karrieresprung für die Leitung des Sonnblick Observatoriums an. Dass sie die Qualifikationen erfülle, war keine Frage. Ungewiss war nur, wie sie 14.000 Kilometer von zu Hause entfernt die nötigen Unterlagen zusammenbekommen sollte: “Ein Führungszeugnis hat man ja auch nicht immer in der Tasche.” Am Ende war die Fernbewerbung erfolgreich.

Nur ein paar Tage war das Observatorium in seiner 133-jährigen Geschichte unbesetzt

Der antarktische Sommer kam, die jungen Pinguine wurden flügge, und die Leiterin des 35. Überwinterungsteams auf der Neumayer-Station setzte sich gegen 15 Mitbewerber für den Sonnblick durch. Im Mai 2016 wurde Elke Ludewig mit 29 Jahren die erste Chefin des höchstgelegenen Observatoriums in Österreich, wechselte von der Kaiserpinguin-Kolonie in die Nachbarschaft von Bergdohlen, Steinadlern und Gämsen.

Das Berglabor am Sonnblick ist ein Unikum. Am Anfang stand der Selfmademan Ignaz Rojacher, der sich als kränklicher Bub aus ärmlichen Verhältnissen zum Besitzer des Rauriser Goldbergbaus, Modernisierer des Tals und ersten Förderer des Tourismus hinaufarbeitete. Rojacher finanzierte den Bau der Wetterwarte; die wissenschaftliche Expertise lieferte der Wiener Begründer der modernen Meteorologie Julius von Hann. Er war Direktor der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik, die seit der Eröffnung 1886 das Observatorium betreibt.

Ganzjährig, sieben Tage die Woche, liefern Ludewig und ihr neunköpfiges Technikerteam Wetter- und Klimadaten. Nur ein paar Tage war das Observatorium in seiner 133-jährigen Geschichte unbesetzt, im November 1918, als sich das alte Österreich auflöste. “Egal ob Krisen oder Kriege, die Meteorologen am Sonnblick haben immer die Daten gesammelt und weitergegeben. Und wenn alles ausfällt, wir messen weiter”, sagt Ludewig.

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