/Digitalisierung: Deutschland muss lernen, völlig anders zu denken

Digitalisierung: Deutschland muss lernen, völlig anders zu denken

Der Wissenschaftler Ayad Al-Ani forscht am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft und lehrt an der Universität Basel. Hier schreibt er über die Implikationen der Digitalisierung.

Vor der Partie gegen das Computerprogramm AlphaGo
zeigte sich der südkoreanische Großmeister Lee Sedol 2016 siegessicher: Er
werde “haushoch” gewinnen
, sagte der Profispieler des asiatischen
Brettspiels Go. Doch es sollte anders kommen: Die von Google Deepmind
entwickelte künstliche Intelligenz besiegte ihn. Wenig später trat der beste chinesische
Spieler Ke Jie gegen den speziell für das asiatische Brettspiel entwickelten Algorithmus
an. Und verlor ebenfalls.

In China beobachtete man
dieses Spektakel mit großem Interesse. In letzter Sekunde verhinderten die chinesischen
Behörden sogar eine Liveübertragung der Partie. Der Sieg der Maschine in
diesem kulturell wichtigen asiatischen Spiel wurde für die chinesische Führung
im Sommer 2016 – so
berichteten es zwei anwesende Professoren gegenüber der New York Times
– zu so etwas wie dem “Sputnik-Moment”: In
diesem Augenblick wurde klar, dass nichts mehr so sein würde wie vorher und
dass nun alle Anstrengungen darauf ausgerichtet werden müssten, künstliche Intelligenz zu besitzen und zu nutzen.

China hatte natürlich auch schon vorher Maßnahmen und
Strategien für diese neue Technologie entwickelt. Doch erst 2017 verkündete das
Land offiziell, bis 2030 die Vorherrschaft im Bereich der künstlichen Intelligenz erringen zu wollen. Auch wenn oft übersehen wird, dass China noch
weit hinter den USA liegt – im März 2018
gab es 39.000 chinesische KI-Spezialisten im Vergleich zu 78.000 in den USA

–, so hat dieser Plan doch eine schaurige Faszination. Sie rührt von den möglichen
beängstigenden Folgen, wie
einer möglichen umfassenden Steuerung des Individuums
, und von der
vermeintlichen Geschlossenheit der Regierung hinter diesem Plan. Jenseits
demokratischer Wahlzyklen macht sich nun eine nicht westliche, staatskapitalistische
Supermacht auf, die Digitalisierung zu nutzen und damit auch ihre Position im
internationalen System zu sichern. Stellt sich die Frage: Kann Deutschland da
noch mithalten?

Isolierte Anstrengungen

Digitalisierung: Der Wissenschaftler Ayad Al-Ani forscht am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) und lehrt an der Universität Basel.

Der Wissenschaftler Ayad Al-Ani forscht am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) und lehrt an der Universität Basel.
© privat

Zumindest ist spätestens seit dem chinesischen
Sputnik-Moment hierzulande mehr Bewegung in die Debatte um Digitalisierung und künstliche Intelligenz gekommen. Allerdings steht der Diskurs immer noch am Anfang.
Digitalisierung werde in der Bundesrepublik noch zu oft als eine notwendige
Anpassung an vorgegebene disruptive Technologien verstanden, schreibt
die Otto-Brenner-Stiftung in einer Medienanalyse
, und weniger als Gestaltung – schon gar nicht als ein Resultat von Entscheidungen, “die auch hätten anders
getroffen werden können”. Man ignoriert damit die Möglichkeit, die Eigenheiten und Bedingungen des deutschen
Modells – eine hohe Exportorientierung, noch dazu auf sehr traditionelle Waren
wie Konsum- und Investitionsgüter und weniger auf immaterielle Güter wie etwa
IT, und Lohnzurückhaltung – zu überwinden. Die bisherigen digitalen Anstrengungen
sind zwar nicht falsch, in ihrer Isoliertheit haben sie sich aber nicht zu
einer wirksamen Strategie oder gar gesellschaftlichen Vision über die Zukunft entwickelt.

Die jüngst auf dem Nürnberger Digitalgipfel
präsentierten Strategien zur Digitalisierung und zu künstlicher
Intelligenz
machen dies deutlich: Sie sind Kataloge unterschiedlicher
Einzelmaßnahmen, die zumeist Absichtserklärungen sind. Schlimmer noch: Der Plan
zur Digitalisierung der Schule – wir reden hierzulande eigentlich noch immer nur über die
Infrastruktur wie WLAN und nicht über notwendige neue Lernmethoden wie etwa den
Flipped Classroom, den umgedrehten Unterricht, in denen die Schülerinnen und Schüler Inhalte
digital zu Hause vorbereiten und in der Schule anwenden – wurde durch
alle Bundesländer
abgelehnt. Dabei ist digitale Bildung die
Grundlage für die wirtschaftliche Zukunft der Bundesrepublik.

Erkennbar wird zudem, dass die bisherigen Maßnahmen nicht
ausreichen: Die Förderung von Forschung und Start-ups, wie sie in den
Strategien der Bundesregierung vorgesehen ist, werden in einer globalen Plattformökonomie
nicht nachhaltig sein, wenn deutsche und europäische Unternehmen nicht auch Plattformen
hervorbringen. Solche Portale sind Intermediäre, die sich zwischen Hersteller
und Nutzer schieben und Leistungen vermitteln: Der Fahrdienst Uber bietet Taxifahrten
an, über die Plattform TopCoder können Unternehmen projektbezogen Arbeitskräfte
buchen und über die Shoppingseiten von Amazon oder Alibaba können Nutzerinnen
und Nutzer Produkte kaufen.

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