/Personalnotstand: “Sie husten aus dem letzten Loch”

Personalnotstand: “Sie husten aus dem letzten Loch”

Gefangene,
die mit nicht mehr als einem blauen Müllsack voller Habseligkeiten
in der Hand die Anstalt verlassen,
überquellende Wartelisten für psychologische Gespräche und zu
wenige
Suchtberater für 400 teils schwerabhängige Häftlinge. Die
Nachrichten, die in den letzten Wochen aus der Justizvollzuganstalt
(JVA) Bützow nach draußen drangen, sind alles andere als
beruhigend. Vielleicht noch beunruhigender: Über die schwer
haltbaren Zustände beschweren sich nicht etwa die Beschäftigten,
sondern die Häftlinge selbst. “Das Personal”, so schreiben die JVA Häftlinge in einem offenen Brief im Oktober 2018, “hustet aus dem letzten Loch.”

Ein Bild, das in diesem Fall wörtlich zu nehmen ist: Im Dezember
2018 meldete sich in Bützow laut dem Justizministerium
Mecklenburg-Vorpommern gut jeder fünfte Mitarbeiter krank. In einem
gut besetzten Betrieb mag das kaum auffallen, die
ohnehin schon unterbesetzten JVA Bützow brachte
der hohe Krankenstand aus
dem Gleichgewicht. Die Strafvollzugsgewerkschaft BSBD schätzt, dass zwischen 15 und 20 der etwa 260 Stellen dauerhaft nicht besetzt sind. Um die Gefangenen angemessen
versorgen und auf ihre Entlassung vorbereiten zu können, fordert die
BSBD daher allein für den Vollzugsdienst mindestens 15 neue
Stellen.

Die Situation in der JVA Bützow Ende des Jahres war ein Ausnahmezustand. Aber
die Bützower sind lange nicht die einzige Justizvollzugsanstalt
in Deutschland, in der der Krankenstand der Beschäftigten auffällt.
An den 37 bayerischen Justizvollzugsanstalten fielen
im Jahr 2017 beispielsweise insgesamt 96.969 Krankentage an. Das sind
im Schnitt 22,4 Krankentage pro Angestelltem. Zum Vergleich: Der
durchschnittliche Krankheitsstand der Beschäftigten in Deutschland
betrug laut dem letzten AOK-Fehlzeiten-Report im Jahr 2017 nur
19,4 Tage.

Warum
also sind Angestellte deutscher Vollzugsanstalten im
Schnitt häufiger krank als andere Angestellte? Und sagt die Anzahl der Fehltage tatsächlich etwas über den Gesundheitszustand einer Berufsgruppe aus?

Belastende Schichtarbeit und medikamentenabhängige Häftlinge

Die Leitung der JVA Bützow wollte sich zu den Gründen für den hohen Krankenstand gegenüber ZEIT ONLINE nicht äußern. Hanno Schulze, der aus Sorge vor Problemen
mit seinen Vorgesetzten in diesem Text einen anderen Namen trägt, kennt den Personalmangel, den die Gewerkschaft und die Häftlinge
beklagen, sehr gut. Der 41-Jährige arbeitet seit 2002 im
Vollzugsdienst Bützow. “Es gibt Tage, da sind wir mit drei Mann für
gut 130 Inhaftierte zuständig”, sagt er. “Normal sind es vier,
gut wären fünf.” Die Konsequenz der Unterbesetzung: Überstunden,
die kaum noch gezählt und schon gar nicht mehr abgebaut würden –
bei Schulze sind es momentan an die 150. Die vielen Krankschreibungen, glaubt er, seien eine Folge der konsequenten Überlastung. “Das ist kein stiller Protest”,
sagt Schulze, “meine Kollegen und ich sind an der
Belastungsgrenze.”

Der
Beruf des Vollzugsbeamten sei ohnehin schon belastend, berichtet Schulze. Viele der
Inhaftierten hätten psychische Probleme oder litten unter
Suchterkrankungen. Einige seien verwirrt und schauten
abgestumpft in die Gegend. Andere seien medikamentenabhängig und wollten ständig zum Arzt, um neue Tabletten zu bekommen. “Mit anzusehen, wie kaputt manche Menschen sind, kann
auf Dauer schon belasten”, sagt Schulze. Auch Drohungen wie “Ich
schick dir meine Leute nach Hause” hat der Vollzugsbeamte schon
öfter gehört – solche Sprüche nimmt er allerdings nicht ernst.
Dazu kämen Sprachbarrieren und die Anforderungen der Schichtarbeit. 

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