/Landschaftsschutz: “Es braucht gopfertori mal ein Zeichen!”

Landschaftsschutz: “Es braucht gopfertori mal ein Zeichen!”

Bahnhof Meilen an einem späten Montagvormittag im Januar. Hans Weiss steigt aus der S7.
Er hat das rechte Zürichseeufer als Ort für unser Gespräch vorgeschlagen. “Das kennen Sie ja
auch”, schrieb er in seiner Mail. Weiss ist in Küsnacht aufgewachsen, ich ein paar Dörfer
seeaufwärts. “Wir könnten ob Meilen zum Pfannenstiel gehen”, hieß es in der Mail weiter,
“und zeigen, dass die Raumplanung oberhalb der Hangkanten gegen den See funktioniert hat.”
Weil wir beide kein Auto besitzen, suchen wir nun den Mobility-Parkplatz und unseren
Mietwagen. Weiss setzt sich auf den Beifahrersitz und faltet zwei Landkarten
auseinander.

Hans Weiss:
Ich bin etwas altmodisch.

DIE ZEIT:
Wieso?

Weiss:
Ich war gerade ein paar Tage bei meinem Sohn in Hamburg. Als ich ihn nach einem Stadtplan
fragte, schaute er mich belustigt an: “Dafür gibt es eine App!” Ich will aber gopfridstutz
eine richtige Karte, auf der ich mich orientieren kann.

Wir fahren los, bergaufwärts zum Pfannenstiel. Anschnallen mag sich der 78-Jährige
nicht.

ZEIT:
Herr Weiss, wie kam es, dass Sie zu einem der wichtigsten Landschaftsschützer der Schweiz
wurden?

Weiss:
Eigentlich hatte ich Geologie studiert: Ich suchte das Abenteuer, wollte reisen.
Tatsächlich konnte ich bald auf eine mehrwöchige Expedition nach Grönland. Aber als ich nach
Hause kam, war da ein Brief: Mein Vater war gestorben, abgestürzt im Onsernonetal. Das hat
mich aus der Bahn geworfen. Ein Freund meines Vaters riet mir: “Am besten gehen Sie an die
ETH. Dort lernen Sie einen richtigen Beruf.” So wurde ich Kulturingenieur.

Der Vater von Hans war Richard Weiss, Professor für Volkskunde an der Uni Zürich. Erst
kürzlich hat sein Sohn dessen Buch “Häuser und Landschaften der Schweiz” neu aufgelegt. Die
“NZZ” schrieb dazu: “Das Standardwerk ist nicht nur eine ernsthafte Heimatkunde, sondern
auch ein zeitloser Kompass für den Umgang mit dem Wandel.” Ebendieser Wandel beschäftigt den
Sohn Weiss bis heute.

Weiss:
Sehen Sie dort oben?

ZEIT:
Die alten, krummen Bäume?

Weiss:
Die hätte man früher umgetan. Wir lernten im Studium, wie man die Landschaft ausräumt, dass
man jedes noch so kleine Bächlein eindolen soll. Man nannte das Flurbereinigung.

ZEIT:
Alles begradigen …

Weiss:
… genau. Für jeden Baum, den ein Bauer ausriss, erhielt er eine Prämie. Ich wusste schon
damals, das werde ich nicht ein Leben lang machen. Noch bevor ich mein Diplom hatte, war im
Amtsblatt des Kantons Graubünden eine Stelle ausgeschrieben: die Leitung eines neu
geschaffenen Amts für Landschafts- und Naturschutz.

ZEIT:
Wieso haben die Bündner einen Zürcher für diesen Job gewählt?

Weiss:
Weil die meinten, diesen Jungen können wir noch formen. Am Anfang haben sie das auch
probiert und mich damit beauftragt, die Grassamen für die Begrünung der Böschungen an der
neuen Ofenpassstraße auszusuchen. Ich machte zwar mit, wollte aber nicht nur ein Kosmetiker
sein. Im Regierungsrat saß damals Leon Schlumpf, der spätere Bundesrat und Vater von Eveline Widmer-Schlumpf. Ihm sagte ich: Bevor wir die Landschaft schützen können, brauchen wir ein
Raumplanungsgesetz, damit klar ist, wo wir bauen und wo nicht.

ZEIT:
Wieso haben Sie …

Weiss:
… haben Sie gesehen?!

ZEIT:
Nein.

Weiss:
Ein riesiger Mäusebussard auf einem wunderschönen alten Obstbaum!

ZEIT:
Wieso haben Sie sich für Raumplanung interessiert?

Weiss:
Das kommt aus meiner Kindheit und Jugend. Ich erinnere mich an eine Bergtour bei Soglio. Da
stand weitab vom Dorf ein Kran. Ich fragte, was dort gebaut werde, eine Kläranlage oder ein
Kraftwerk? Nein, da baute ein Chemiker aus Basel, der viel Stutz hatte, seine private Villa.
Und machte damit die Landschaft kaputt! So etwas tut mir noch heute weh.

Wir sind in Wetzwil, einem idyllischen Weiler oberhalb von Meilen, angekommen: eine
Kirche, eine Schule, verstreut am Hang ein paar Bauernhöfe und einzelne Wohnhäuser. Die
Sonne drückt durch die Wolkenfetzen, das andere Seeufer ist nur zu erahnen. Wir spazieren
los.

Weiss:
Raumplanung ist eigentlich Aufgabe der Kantone, tatsächlich aber bestimmen die Gemeinden
und Investoren, wo sie bauen wollen. Das hat dazu geführt, dass die Raumplanung, wie sie im
Gesetz vorgeschrieben ist, über Jahrzehnte in vielen Kantonen und Gemeinden einfach nicht
umgesetzt wurde.

ZEIT:
Also nützen all die nationalen und kantonalen Gesetze gar nichts?

Weiss:
Doch, doch! Ohne das nationale Raumplanungsgesetz, das 1980 in Kraft trat, sähe die Schweiz
ganz anders aus.

ZEIT:
Wie denn?

Weiss:
Sehr viel schlimmer.

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