/Anschlag am Breitscheidplatz: Berliner Polizistin sah in Anis Amri keinen Attentäter

Anschlag am Breitscheidplatz: Berliner Polizistin sah in Anis Amri keinen Attentäter

Die Kriminalkommissarin W. sollte den späteren Attentäter Anis Amri besser kennen als die meisten ihrer Polizeikollegen. W. arbeitete im Islamismusdezernat und war dafür zuständig, Amris Telefongespräche auszuwerten. Fast täglich hörte sie ihm zu. Trotzdem hatte sie mit dem Attentat auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016 nicht gerechnet. Genauso wenig wie mit dessen Folgen für sie. Im Mai nach dem Anschlag standen drei ihrer Kollegen in ihrem Büro, beschlagnahmten ihr Handy und legten einen Durchsuchungsbeschluss für ihre Wohnung auf den Schreibtisch. So berichtete W. es am Freitag im Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus.

“Ich habe mich als die Gute gefühlt”, sagte sie. “Ich wusste nicht, worum es ging.” Ihre Kollegen führten sie in einen Nebenraum, wo sie als Zeugin bei der Staatsanwaltschaft aussagen musste. Gegen andere Kollegen von ihr wurde wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt ermittelt. Um Fehler zu vertuschen, sollen sie Akten manipuliert haben. “Da fühlt man sich, als hätte man selbst den LKW auf den Weihnachtsmarkt gesteuert”, sagt W.

W. ist an diesem Freitag eine wichtige Zeugin im Untersuchungsausschuss, der klären soll, welche Fehler die Berliner Behörden im Fall Amri machten. Sie spielte eine entscheidende Rolle, als der als islamistischer Gefährder geführte Anis Amri ins Gefängnis kommen sollte. Es geht auch um die Frage, ob der Anschlag hätte verhindert werden können. Amri war am 19. Dezember 2016 mit einem entführten Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gefahren, er tötete zwölf Menschen und verletzte fast 100.

W.s Bericht wurde nie abgeschickt

Die Berliner Polizei wusste, dass er gefährlich war, und hatte ihn im Sommer 2016 überwacht. Sie fand aber keine Anhaltspunkte für Anschlagspläne – nur für Drogenhandel. Dennoch wollte man ihn “von der Straße haben”, berichtet W. Eine Haftstrafe wegen Banden- und gewerbsmäßigen Drogenhandels hätte diesen Zweck erfüllt. Die Einschätzung der zuständigen Beamtin W. war deutlich: Es sei erwiesen, “dass der Amri gemeinsam mit weiteren Beschuldigten dem sowohl gewerbs- als auch bandenmäßigen Handel mit Amphetaminen, Kokain als auch Cannabis nachgeht”, notierte sie am 1. November 2016 in ihrem Bericht für die Staatsanwaltschaft. Es folgt eine Auflistung von 73 überwachten Telefongesprächen von Amri, in denen er mit Komplizen und Kunden über seine Drogengeschäfte gesprochen hatte. Doch der Bericht der Beamtin wurde nie abgeschickt.

In dem Bericht, der die Staatsanwaltschaft dann tatsächlich erreichte, klang die Lage ganz anders. Es ging lediglich um den “Verdacht, dass Amri Kleinsthandel mit Betäubungsmitteln betrieben haben könnte”. So formulierte es der Verfasser, der Kriminaloberkommissar L. Er war der Vorgangsführer im Berliner Landeskriminalamt für Anis Amri. Ihm hatte die Beamtin W. zugearbeitet.

Dass er W.s Bericht verändert hatte, kam erst durch einen Bericht des Berliner Sonderermittlers Bruno Jost heraus. Der hatte wenige Monate nach dem Anschlag festgestellt, dass es zwei Versionen des Berichts gab. Der Innensenator erstattete Anzeige wegen Strafvereitelung im Amt. Zunächst wurde gegen L. ermittelt, dann auch gegen dessen Vorgesetzten O.

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