/Stromschlag im Supermarkt: Nicht wieder gut zu machen

Stromschlag im Supermarkt: Nicht wieder gut zu machen

Die
Mutter von Jonathan ist nicht zum Urteil gekommen. Ihr gehe es einfach zu
schlecht, sagt ihr Rechtsanwalt. Nur der Vater des kleinen Jungen sitzt den
angeklagten Geschäftsführern gegenüber und blickt ihnen pausenlos ins Gesicht,
mit leerem Blick. Es wirkt, als wäre er in seiner Trauer erstarrt.

Auch
beim Urteil zeigt er keine Reaktion. Zehn Monate auf Bewährung, so lautet das
Urteil für die 48-jährige Geschäftsführerin und ihren 44-jährigen Bruder,
Mitinhaber des Harburger Adese-Marktes. Die beiden hätten ihre
Sorgfaltspflichten erheblich verletzt, so die Richterin. Als Geschäftsführer würden
sie jeden Tag unzählig vielen Menschen die Türen zu ihrem Lebensmittelgeschäft
öffnen. Die müssten einfach darauf vertrauen können, dass ihnen beim Einkaufen
nichts passiert.

Der
vierjährige Jonathan aber bekam einen schweren Stromschlag, als er mit seinem Vater
beim Einkaufen an der Kasse des Adese-Marktes stand. Die Elektroanlage in dem
Geschäft sei fehlerhaft, gar desolat gewesen, sagte die Amtsrichterin. Kabel
hingen offen von der Decke, ein Trafo auf einem Metallschrank war nicht
fachgerecht installiert. Das hätten die beiden Geschäftsführer auch als Laien
erkennen können. Sie hätten das kontrollieren müssen.

Das
aber, sagte die Richterin, hätten sie nicht getan und damit massiv gegen ihre
Sicherungspflichten verstoßen. Die beiden, so die Richterin weiter, hätten vor
dem tragischen Tod von Jonathan nicht einmal die einschlägigen
Unfallverhütungsvorschriften gekannt.

Die Verwandten drängelten sich dicht an dicht im Gerichtssaal und hofften auf ein Wort des Bedauerns

Die
Richterin sagte, dass die Strafe für die Angeklagten spürbar sein müsse – trotz
der Bewährung, die sie bekommen haben. Sie legte den beiden deshalb als
Bewährungsauflage hohe Geldzahlungen auf: Die Geschäftsführerin muss während
der Bewährungsdauer von drei Jahren monatlich 600 Euro zahlen, ihr Bruder und
Mitgeschäftsführer 500 Euro im Monat.

Alle
sind sichtlich erschöpft von diesem Prozess. Von der Trauer, die im Saal in
jedem Moment fast mit den Händen zu greifen war. Von der aufgeladenen Stimmung. Seit Anfang November lief der Prozess. Die
Positionen waren von vornherein festgefahren, der Ton zwischen den Beteiligten
bisweilen scharf. Die Verteidiger der beiden Ladenbesitzer hatten schon ihre
Eröffnungsworte dazu genutzt, anzukündigen, dass sie auf einen Freispruch
hinarbeiten würden. Ein Affront, schon ehe es losging.

Die vielen Verwandten
Jonathans im Saal hatten zumindest auf ein Bekunden aufrichtigen Mitgefühls
gehofft. Das sollten sie nicht zu hören bekommen – während des gesamten
Prozesses nicht. An jedem
Verhandlungstag bauten sie vor dem Gerichtsgebäude an der befahrenen Buxtehuder Strasse in Harburg eine Art Altar für Jonathan auf. Sie drängelten sich dicht
an dicht auf den Zuschauerplätzen. Für die Eltern des Kindes war die Anteilnahme
eine wichtige Unterstützung – für die Angeklagten war es eine Belastung.

So
kam die Verhandlung bisweilen wie ein Zweikampf daher, ausgefochten zwischen
einem aggressiv agierenden Verteidiger, der bisweilen sogar Zweifel daran
äußerte, dass Jonathan in dem Supermarkt überhaupt einen Stromschlag bekommen
hatte. Und dem Anwalt der Eltern, der diese nach Kräften schützen wollte, aber
sich viel zu oft auf kleinteilige Scharmützel einließ.

Korrektiv
waren ausgerechnet die Eltern von Jonathan. Die wollten wirkliche Aufklärung –
und beeindruckten immer wieder damit, wie ausgerechnet sie um Sachlichkeit und
Fassung kämpften. Das hob die Richterin im Urteil noch einmal ausdrücklich
hervor. “Den Eltern ist das Schrecklichste passiert, was Eltern widerfahren
kann,” sagte sie. Sie betonte aber auch, dass ein Gerichtsurteil nicht das
leisten könne, was hier von ihm erwartet werde. Den Verlust des Kindes, so die
Richterin, “kann es nicht wieder gutmachen”.

Die
Angeklagten haben bis zum Schluss kein Wort zu dem tragischen Tod des kleinen
Jungen gesagt.

Dies ist ein Artikel aus dem Ressort ZEIT:Hamburg. Hier finden Sie weitere News aus und über Hamburg.

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