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Kohlekommission: “Abwanderung lässt sich nicht verhindern”

In den nächsten Tagen wird die Kohlekommission ihre Empfehlungen bekannt geben: Wann soll Deutschland aus der Kohleverstromung aussteigen? Und wie kann der Staat den Tausenden Menschen helfen, die dadurch arbeitslos werden? Der Ökonom Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat dazu geforscht. Er sagt: Die Regierung sollte den Beschäftigten lieber Abfindungen zahlen, anstatt in der Hoffnung auf neue Arbeitsplätze Unternehmen zu subventionieren.

ZEIT ONLINE:
Herr Holtemöller, Sie haben untersucht, wie sich der geplante
Kohleausstieg auf die betroffenen Regionen Lausitz, Mitteldeutschland
und Rheinland auswirken wird. Zu welchem Ergebnis kommen Sie?

Oliver
Holtemöller:
Unsere Studie geht von einem schrittweisen
Kohleausstieg bis zum Jahr 2035 aus. Wir haben uns vor allem
Beschäftigung, Löhne und Abwanderung angeschaut. Kurz
zusammengefasst: Für Deutschland insgesamt sind die
ökonomischen Auswirkungen überschaubar, für die betroffenen
Regionen dagegen schwerwiegend.

ZEIT ONLINE:
Inwiefern?

Holtemöller:
Bis 2030 könnten in den betroffenen Regionen bis zu 15.000
Arbeitsplätze verloren gehen – zusätzlich zu denen, die durch
schon bestehende Prozesse wie Abwanderung oder Demografie wegfallen.
Unter anderem durch höhere Strompreise nach dem Kohleausstieg werden
nach unserem Modell deutschlandweit weitere 20.000 bis 25.000 Jobs
wegfallen. In absoluten Zahlen betrachtet ist das Rheinland am
stärksten betroffen, weil dort deutlich mehr Menschen in der
Braunkohlewirtschaft arbeiten als in den anderen beiden
Braunkohleregionen. Relativ betrachtet ist die Lausitz am stärksten
betroffen, weil dort der Braunkohlesektor die größte Bedeutung hat.
Wir gehen aber davon aus, dass sich nach Abschluss der
Anpassungsprozesse die Arbeitslosenquote langfristig wieder auf dem
bisherigen Niveau einpendelt.

ZEIT ONLINE:
Warum das?

Holtemöller:
Weil mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten in der Region auch zu
Abwanderung führen. Einige, die ihre Arbeit verlieren, werden aus
den betroffenen Regionen wegziehen, das hat man in anderen Fällen
gesehen. Die Beschäftigten im Braunkohlesektor haben überwiegend
Berufe, die auch andernorts gefragt sind, sei es im technischen oder
im kaufmännischen Bereich. Außerdem sind die Löhne in dieser
Branche fast doppelt so hoch wie im deutschen Durchschnitt. Es ist
unwahrscheinlich, dass diese Menschen in ihrer Region eine ähnlich
gut bezahlte Arbeit finden. Die jüngeren von ihnen werden pendeln
oder wegziehen – in Regionen, in denen jetzt schon die
Arbeitskräfte knapp sind. Unser Modell hat ergeben, dass aus der
Lausitz 2.500 Menschen abwandern könnten.

ZEIT ONLINE:
Bei 44 Millionen Erwerbstätigen in ganz Deutschland klingt das nicht nach viel. Warum
sollte sich der Rest des Landes dafür interessieren?

Holtemöller:
Die Bundesregierung hat das Ziel, das Klima zu schützen. Das ist mit
einem Kohleausstieg in einer Größenordnung möglich wie bei keiner
anderen Maßnahme. Diese politische Entscheidung stellt jedoch die Menschen,
die in der Braunkohlewirtschaft arbeiten, vor eine große
Herausforderung
. In einer sozialen Marktwirtschaft sollten diese
Menschen nicht alleingelassen werden. Damit die Bereitschaft
erhalten bleibt, Wandel zu akzeptieren, müssen auch die Verlierer
dieser Prozesse mitgenommen werden. Sonst fühlen sich diese Menschen
abgehängt und könnten sich teilweise auch populistischen Strömungen
anschließen.

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