/Gleichberechtigung: “Frauen müssen für ihre Rechte kämpfen, sonst ändert sich nichts”

Gleichberechtigung: “Frauen müssen für ihre Rechte kämpfen, sonst ändert sich nichts”

Wenn
Frauen im Iran auf offener Straße ihr Kopftuch ablegen, drohen Ihnen
Haft und Folter – trotzdem begehren immer mehr Frauen gegen den
Verschleierungszwang auf. Shirin Ebadi ist die wohl bekannteste
Frauenrechtlerin des Irans, jahrelang kämpfte sie als Anwältin für
politisch Verfolgte und unterdrückte Frauen. 2003 bekam sie für
ihren Einsatz für die Menschenrechte den Friedensnobelpreis, 2009
musste sie ihre Heimat verlassen, seither lebt sie im Exil in London.
Für einen Vortrag an der Bucerius Law School war Ebadi in Hamburg,
vorher sprach sie über die Lage im Iran – und wie sie zur
#MeToo-Debatte steht.

ZEIT
ONLINE:
Frau Ebadi, haben Sie Angst?

Shirin
Ebadi:
Nein, wieso sollte ich?

ZEIT
ONLINE:
In
den vergangenen Monaten sind mehrfach Aktivitäten des iranischen
Regimes in Europa aufgeflogen, auch
in Deutschland. Die Rede ist
von Hackerangriffen und Attentatsversuchen auf Oppositionelle im
Exil. Und
Sie sind eine sehr
prominente Kritikerin des
Regimes …

Ebadi:
Ich wurde in meinem Leben schon so oft schikaniert, ich bekam so
viele Todesdrohungen. Daran habe ich mich längst gewöhnt. Es gibt
zwar Hinweise darauf, dass ich in London, wo ich seit 2009 im Exil
lebe, beschattet werde. Doch es ist mir schlicht egal. Sollen Sie
mich doch ausspähen. Ich habe nichts zu verbergen.

ZEIT
ONLINE:
Wie hat sich das Leben
der Iraner verändert, seit die USA ihren Ausstieg aus dem
Atomabkommen erklärt und Sanktionen verhängt haben?

Ebadi:
Die Wirtschaftskrise im Land
hat sich verschärft, die nationale Währung Rial hat über 60
Prozent an Wert verloren. Das
bekommen die Menschen
unmittelbar zu spüren – sie sind ärmer geworden, die
Arbeitslosenquote ist hoch. Ich
beobachte mit Sorge, dass sich die Kluft
zwischen Arm und Reich immer
weiter verstärkt. Wer sich
in regierungsnahen Kreisen bewegt, kann die Sanktionen umgehen und
viel Geld schwarz verdienen.

ZEIT
ONLINE:
Schon
vor den US-Sanktionen war die Wirtschaftslage schlecht, seit 2007
branden Proteste im ganzen Land auf.
Sehen Sie eine reelle Chance
auf einen Wandel?

Ebadi:
Nun, ich hoffe zumindest,
dass die Proteste nicht abebben und sich zu einer breiten Bewegung
entwickeln werden. In einer Sache bin ich mir sicher: Eine
Veränderung des politischen Systems muss von den Menschen im Iran
selbst angestoßen werden muss – auf demokratischem Weg.

ZEIT
ONLINE: Wie
stellen Sie sich das vor?

Ebadi:
Ich habe im vergangenen Jahr eine Erklärung veröffentlicht, in der
ich mich klar und deutlich für ein Verfassungsreferendum unter der
Schirmherrschaft der Vereinten Nationen ausgesprochen habe. Eine
solche Abstimmung wünschen sich mittlerweile viele Menschen im Iran. Das
Wichtigste ist, dass die Proteste friedlich bleiben und dass es zu keinem Blutvergießen kommt. 

ZEIT
ONLINE:
Bemerkenswert
ist, dass Frauen bei den Protesten eine aktive Rolle spielen. Sie
lassen sich ohne Kopftuch fotografieren, tanzen auf der Straße –
Bilder, die sich rasant im Netz verbreiteten. Sind iranische
Frauen selbstbewusster geworden?

Ebadi:
Nein, so sehe ich das nicht.
Iranische Frauen waren schon
immer selbstbewusst, sie haben
sich seit dem ersten Tag gegen das Regime aufgelehnt. Sie
sind ja auch von besonders harten Einschränkungen betroffen: Das
Leben einer Frau ist nur halb so viel wert wie das eines Mannes, die
Zeugenaussage einer Frau gilt nur halb so viel wie die eines Mannes,
die Tochter erbt nur halb so viel wie der Sohn …
und das sind nur wenige
Beispiele. Für die
westliche Welt sind diese Frauen sichtbarer geworden. Soziale
Medien wie Instagram
und Twitter spielen dabei eine entscheidende Rolle. Vereinzelte
Proteste wurden zu Massendemonstrationen auf der Straße, Menschen
können sich spontan vernetzen, um gegen Diskriminierung zu
protestieren. Den
Iranerinnen öffnet sich eine Tür zu einer Welt, die ihnen sonst
verschlossen geblieben wäre – und die Welt blickt auf die Iranerinnen.

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