/Handball: Viel besser als Fußball

Handball: Viel besser als Fußball

Am vergangenen Wochenende startete die Fußballbundesliga in die Rückrunde,
die Tenniselite traf sich beim ersten großen Turnier des Jahres in Australien, und im
schweizerischen Wengen fand das legendäre Lauberhornrennen im Ski Alpin statt. Doch keines der
Sportevents faszinierte die deutschen Fernsehzuschauer so wie die Auftritte der deutschen
Handballnationalmannschaft
bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land. Waren es am Samstagabend
rund acht Millionen Menschen, die den DHB-Sieg gegen Island verfolgten, schalteten zwei Tage
später mehr als zehn Millionen ein und wurden nicht nur Zeugen eines 22 : 21-Krimis gegen
Kroatien
, sondern auch des vorzeitigen Einzugs ins WM-Halbfinale.

Doch woher kommt das große Interesse an einer Sportart, die normalerweise nur Liebhaber ihrer
Zunft zu begeistern vermag? Ist es die simple Sehnsucht nach dem Ausdruck von Nationalstolz,
der uns bei der Fußball-WM durch den ausgebliebenen Erfolg verwehrt war? Warteten die
Emotionen des Publikums nur auf ein Ventil, um freigesetzt zu werden?

Nein, so einfach ist die ohnehin immer geringer werdende Aufmerksamkeitsspanne von Zuschauern
nicht mehr einzufangen. Dafür gibt es mittlerweile viel zu viele und auch hochwertige
Möglichkeiten, sich unterhalten zu lassen. So war zum Beispiel Profifußball nie so attraktiv
wie heute – vielleicht nicht auf nationaler Ebene, aber in der einfach zugänglichen britischen
Premier League.

Es liegt eher im Wesen dieser Handballnationalmannschaft selbst, dass sich so viele Menschen
mit ihr identifizieren können. Ein wichtiger Grund dafür ist die Nahbarkeit der Spieler und
Betreuer. Selbst wenn man die einzelnen Gesichter der Athleten erst einmal zuordnen muss, so
strahlt jeder Akteur eine Bodenständigkeit aus, mit der sich viele Fans anfreunden können.
Keiner der Spieler, selbst der bei Paris-Saint-Germain angestellte Kapitän Uwe Gensheimer
nicht, verdient Millionen, wie es im Profifußball üblich ist. Auch wenn es ungerecht sein mag,
einen Fußballer aufgrund seines Gehalts als
abgehoben
zu bezeichnen, so kann man sich
doch kaum dem Gefühl entziehen, in unterschiedlichen Welten zu leben. Gensheimer aber ist für
die Fans “der Uwe”, sie feiern ihn wie den Jungen von nebenan.

Keiner der Handballer wirkt wie ein Produkt einer millionenschweren Vermarktungsindustrie. Im
Gegenteil: In den Gesten und Blicken der Nationalspieler paart sich eine Mischung aus Stolz
und Ungläubigkeit ob der von ihnen selbst entfachten Euphorie. Besonders schön konnte man das
in einer Szene im Vorrundenspiel gegen Frankreich beobachten, als sich Abwehrchef Patrick Wiencek mit seinem 110 Kilogramm schweren Körper gegen einen gegnerischen Freiwurf stemmte und
diesen mit dem Kopf verteidigte. Dabei sank er taumelnd zu Boden, begann noch auf dem Rücken
liegend zu strahlen und applaudierte sich schließlich selbst im Takt der jubelnden
Zuschauer.

Dass die Mannschaft eine Symbiose mit den Zuschauern bilden kann, ist auch das Ergebnis des
neuen Führungsstils von Nationaltrainer Christian Prokop. Handball ist ein harter Sport, die
Mannschaft ist gespickt mit selbstbewussten, teils eigenwilligen Charakteren. Es ist nicht
trivial, ein solches Team zu führen. Versuchte der 40-jährige ehemalige linke Rückraumspieler
bei der Europameisterschaft 2018 noch, der Mannschaft seine Ideen mit autoritärem Gestus zu
oktroyieren (was zu einem frühen Ausscheiden in der Hauptrunde führte), so bindet er sie
diesmal in die Entscheidungsprozesse ein.

Als Fernsehzuschauer kann man per Mikrofon in den Auszeiten daran teilhaben, wie Prokop sich
bei dieser WM zurücknimmt und seine Athleten immer wieder selbst Anweisungen formulieren
lässt. Dabei wächst das Verantwortungsgefühl jedes einzelnen Spielers und die Lust, über die
Grenzen hinweg für sein Team zu kämpfen, was der Zuschauer wiederum spürt. So ließ sich das
Team auch nicht von der schweren Verletzung des Spielmachers Martin Strobel im Spiel gegen
Kroatien irritieren. “So eine Drucksituation zu überstehen”, sagte Prokop nach der Partie,
“darauf bin ich unheimlich stolz.” Nicht nur er.

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