/Gender und Sprache: Handwerkende für Sprachausbau gesucht

Gender und Sprache: Handwerkende für Sprachausbau gesucht

Es ist ja immer ganz herzlich zu begrüßen, wenn sich Politikerinnen und Politiker bemühen, unsere Gesellschaft gerechter zu machen, Diskriminierungen vorzubeugen, Minderheiten zu schützen, kurz: die Welt, für die sie zuständig sind, ein klein wenig besser zu machen. Die Welt in und um Hannover könnte dank einer politischen Maßnahme nun um genau so ein kleines Stückchen besser werden: Die Sprache, die auch unser Denken prägt, soll gendergerechter werden. Sie soll also die absolute Gleichwertigkeit von Frauen, Männern und allen Menschen diverser Geschlechtszugehörigkeit unterstreichen – und nicht mehr männliche Formen bevorzugen.

In sämtlichen Schriftstücken der Verwaltung wird es ab sofort also “Lehrende” statt “Lehrer” oder “Lehrerin” heißen. Zumindest solange man auf den Plural ausweichen kann, leuchtet der Vorschlag spontan ein: Es ist nicht nur ähnlich kurz wie das generische Maskulinum, sondern umfasst vor allem tatsächlich Menschen jeder geschlechtlichen Ausprägung. Der wirklich entscheidende Vorteil der Reform ist jedoch, dass jede und jeder, der oder die den Mund auftut, künftig zuerst etwas genauer darüber nachdenken muss, was sie oder er da gerade tut. Nämlich, grammatisch betrachtet, die Endung “-er” durch das aus dem Lateinischen abgeleitete Partizip Präsens zu ersetzen, also durch “-(en)de”.

Das funktioniert in aller Regel prima, wenn dem Nomen ein Verb zugrunde liegt wie “lehren” in “Lehrende”. Bald wird also in Niedersachsen vermutlich auch von Handwerkenden, insbesondere Klempnernden, Spenglernden, Tischlernden und Backenden die Rede sein. Wobei, wer jüngst versucht hat, einen Handwerkenden für sein leckes Abflussrohr zu finden, weiß, wie rar diese Menschen inzwischen sind.

Komplizierter wird das Gendern nämlich nicht nur für den genderneutralen Singular, sondern auch bei Wortbildungen, denen kein im Deutschen geläufiges Verb zugrunde liegt, wie in “Influencer” oder auch in “Abiturient”. Einfach ein paar mehr Zeichen in Kauf nehmen und von “Influencerin oder Influencer” und von “Abiturientin oder Abiturient” zu sprechen, reicht eben gerade nicht. So weit waren wir längst. Die Frage ist ja weniger, neben der männlichen auch die weibliche Form zu nennen, sondern eine Form für alle zu finden, eine echte generische Form. Da müsste man sich schon aufs Lateinische rückbesinnen und künftig von “Influenzierenden” oder “Abiturierenden” sprechen – ach, warum nicht? Verfechter der kultivierenden Kraft des Großen Latinums wird’s freuen. Eine Lösung für die Einzahl bietet das aber auch nicht. Müssten die in Hannover Lebenden – ähnlich wie die in Schweden – ein neues Wort erfinden? “Dex Influencer”? Oder mittels des immerhin schon bekannten Neutrums “das” von “das Abiturient” sprechen?

Was ist mit “Sexisten” und “Rassisten”?

Die 11.000 Mitarbeitenden der niedersächsischen Verwaltungen werden sich mit unserer Sprache und ihrem Gebrauch jedenfalls noch etwas intensiver auseinandersetzen und mit ihnen die Lesenden ihres Schriftverkehrs. Es gab schon erste Vorschläge vonseiten der – Achtung: nicht Bürgenden, sondern – Bürgerinnen und Bürger. So solle es doch künftig nicht “Wählerverzeichnis” heißen, auch nicht “Wählendenverzeichnis”, sondern eleganterweise “Verzeichnis der Wählenden”. Bingo! In ihrem Informationsblatt zur Sache schlägt die Landesregierung auch alternative Bildungen vor, unter Zuhilfenahme von Adjektiven, also etwa “psychologischer Rat” statt “Rat der Psychologin”, und von Verben, also statt “Toni Tüdel kommt als Vertreter” besser “Toni Tüdel vertritt”. Auch gelungen, weil sowieso persönlicher ist die Empfehlung, auf Formularen die Menschen nicht mit “Unterschrift des Antragsstellers” aufs ewig Männliche festzulegen, sondern einfach “Ihre Unterschrift” zu erbitten. Man erahnt das ungeheuer kreative Potenzial aller Sprechenden.

Doch es bleibt noch viel zu tun. Offen sind beispielsweise Lösungen für “Lageristen” und “Sozialisten”, für “Sexisten” und “Rassisten”, für alle Menschen also, deren Morphologie ein Substantiv zugrunde liegt und aus dem Altgriechischen zu uns gelangt ist. Vorschläge gern an die Landesverwaltung Hannover oder auch an die hier schreibende Journalistin. Und wo Sie gerade dabei sind: Hätten Sie auch noch zwei hübsche Ideen für “Redakteur” und “Autor”, wenn das Geschlecht gerade nichts zur Sache tut? Sie würden helfen, die Welt ein bisschen gerechter zu machen.

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