/“Sherlock Holmes”: Jetzt singt er auch noch

“Sherlock Holmes”: Jetzt singt er auch noch

Hold on, war das jetzt eine Brexit-Anspielung? Und hat das Publikum die auch verstanden? Dieser deprimierende Austausch zwischen der Lady Margaret Chamberlain und Sherlock Holmes darüber, dass man ja nicht mehr jung ist, es aber auch gar nicht sein möchte, weil die Welt, die der nächsten Generation vermacht wird, doch ziemlich kaputt daherkommt.

Es wäre nicht die einzige politische Volte in diesem Stück. Kurz zuvor hat der Londoner Bürgermeister Strong schon beschworen, das Empire werde mit allem fertig, kurzum: “Wir schaffen das.” Merkelraute inklusive. Da haben alle gelacht, auch wenn nicht ganz klar war, warum oder über wen genau. Aber die Merkelraute ist halt komisch, sogar kontextfrei. Soll also heißen, kombiniere, kombiniere, nicht alle Pointen in diesem Musical sitzen, aber man verzeiht es ihm, solange man solide unterhalten wird. Und das wird man doch, mitten im Wohngebiet.

Sherlock Holmes – Next Generation heißt der Stoff, der nunmehr die nächsten Wochen und auch Monate am First Stage Theater in Hamburg-Altona seine Zuschauenden sucht. Der popkulturberühmte, aber spleenige Detektiv, er singt jetzt auch, an seiner Seite die üblichen Verdächtigen – Dr. Watson, Mrs. Mason und Inspector Lestrade – und auf der Jagd nach, ja, genau, dem üblichen Verdächtigen. Moriarty, das kriminelle Genie, die ewige Nemesis. Klingt bekannt?

Was aber neu ist und sich der Idee von Rudi Reschke verdankt, Regisseur und Autor des Musicals, ist die next generation, jene nächste Generation, die den verdienten Helden assistiert bei der Lösung des Falls. Im permanenten Schlagabtausch zwischen Jung und Alt (manchmal, selten sogar: Senil) entsteht eine Dynamik, die auch über weniger Gelungenes hinwegsehen lässt. Über unfreiwillig Komisches wie die in Zeitlupe choreografierte Kampfszene am Reichenbachfall zu Beginn, über Schleppendes wie die zu lange Golfplatzbegehung, über allzu Frontalerotisches wie den halbnackten Verführungstanz in einer Opiumhöhle im Londoner Untergrund.

Mehr als sieben Jahre hat es gedauert, den Plot zu entwerfen und immer wieder zu schärfen

Denn natürlich schwingt im generation gap, der Sherlock und Watson trennt von ihren designierten Nachfolgern, hier der freche Waisenhausknabe John, dort die kluge Suffragette Catherine, vieles mit, was die Insel dieser Tage beschäftigt. Wie blickt man auf die Welt? Was will man von ihr? Was gibt man zurück? Und schafft man das ganz allein oder doch eher im Verbund mit Freunden und Helfern?

Nun hat jede neue Fassung der Helden von Arthur Conan Doyle seit ein paar Jahren, genauer: seit 2010, das Problem, sich zwangsläufig an der BBC-Serie Sherlock messen lassen zu müssen, selten zum Vorteil für die neuen Fassungen. Zu gut war der BBC-Sherlock, zu anders und zu kaputt, ein Kondensat unserer Zeit, wegverpflanzt aus dem historischen Ursprung, deshalb durchweg ironisch, gebrochen und aufrecht zugleich, Psychopath und Therapeut in einem. Benedict Cumberbatch, der längst Hollywood erobert hat, in seiner besten, seiner größten Rolle.

Rudi Reschkes Musical kann da nicht mithalten, natürlich nicht, aber es beweist immerhin, dass Doyles Figur allemal gesungen funktioniert, wovon nicht auszugehen war. Sherlock Holmes, dachte man ja immer, sei ultimatives Sprechtheater. Aber zur exzellenten Livemusik der Band, die hinter einem Vorhang spielt, sitzt fast jeder Ton. Und noch besser an Reschkes Werk ist dann sowieso, dass es überhaupt eine Bühne gefunden hat. Davon weiß das Programmheft zu berichten. Mehr als sieben Jahre hat es gedauert, den Plot zu entwerfen und immer wieder zu schärfen. In vielen konzertanten Lesungen und Workshops und oft auch gegen Widerstände ist entstanden, was jetzt final gezeigt wird. Durchhaltevermögen, fürwahr. Man könnte es fast Sturköpfigkeit nennen. Very british.

“Sherlock Holmes – Next Generation”; First Stage Theater, Thedestraße 15

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