/Künstliche Intelligenz: Rage Against the Machine

Künstliche Intelligenz: Rage Against the Machine

Mitten in einer Oktobernacht stürmte ein Mann in der US-Wüstenstadt Chandler auf eine Kreuzung. Er schlug mit einem stumpfen Gegenstand auf ein Roboterfahrzeug ein und zerstach einen Reifen des Vehikels. In einem weiteren Fall soll laut Polizeibericht jemand den Nutzer eines selbstfahrenden Autos mit einem Revolver bedroht haben. Immer wieder kommt es zu tätlichen Übergriffen, seit die Google-Schwester Waymo in dem Vorort von Phoenix ihre autonome Fahrzeugflotte im Rahmen eines Testbetriebs ausgerollt hat.

Nicht nur in Arizona, auch in Kalifornien vermelden Polizeibehörden vermehrt Vandalismusvorfälle. In San Francisco stieg im vergangenen Jahr ein Taxifahrer aus seinem Wagen und schlug auf die Windschutzscheibe eines Roboterfahrzeugs ein. Ein Sicherheitsroboter, der in Parkhäusern patrouillierte und Obdachlose vertreiben sollte, wurde von wütenden Bürgern demoliert; Wohnungslose, die gerade eine Zeltstadt errichteten, stülpten eine Plane auf den Roboter, schlugen auf ihn ein und schmierten Barbecuesauce auf seine Sensoren. Hier, wo sich die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter spreizt, entlädt sich der Zorn gegen die Maschinen.

Etwas hat sich verändert im öffentlichen Ansehen von Automaten. Als der Roboter Hitchbot – eine infantile Konstruktion aus einem solarzellenbewehrten Eimer, Schwimmnudeln, Kindergummistiefeln und einem Tabletcomputer – 2015 auf seiner Reise per Anhalter durch die USA von Vandalen zerstört wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Blogger fragten: “Wer hat Hitchbot getötet?” Von dieser Empathie ist mancherorts nicht mehr viel übrig geblieben. Immer häufiger liest man in der Lokalzeitung San Francisco Chronicle, dass Menschen auf Lieferroboter eintreten, die auf dem Bürgersteig fahren und Pizzen und anderes Fast Food an die Wohnungstür liefern. Es sind nur Randnotizen. Doch dahinter steckt womöglich mehr.

Das linke US-Magazin Mother Jones bezeichnete die Vorkommnisse als “neue ludditische Revolte“: Im Jahr 1811 zerstörten englische Arbeiter unter dem Anführer Ned Ludd Webstühle, um gegen die Automatisierung und den dadurch drohenden Verlust ihres Arbeitsplatzes zu protestieren. In ganz Europa steckten aufgebrachte Weber Spinnereien und Fabriken in Brand. Der französische Tüftler Joseph-Marie Jacquard, der durch die Erfindung des lochkartengesteuerten Webstuhls der industriellen Revolution zum entscheidenden Durchbruch verhalf, wurde in Lyon von einem Mob attackiert und beinahe getötet. Die britische Armee schlug die Bewegung der Maschinenstürmer gewaltsam nieder, das Parlament erklärte die Sabotage von Maschinen zu einem Kapitalverbrechen.

Heute werden Daten zu Gold gesponnen

Eine Ironie der Geschichte ist, dass sich der Computerpionier Charles Babbage in den 1830er-Jahren bei der Konstruktion seiner Analytical Engine vom Jacquard-Webstuhl inspirieren ließ. Die Idee, Muster in eine Maschine einzuspeisen, übertrug er auf seine mechanische Rechenmaschine – nur, dass diese keine Stoffe, sondern Zahlen ausspucken sollte. Auch im autonomen Fahrzeug steckt ein Stück mechanischer Webstuhl. Trotzdem wirken die Attacken auf Roboterfahrzeuge wie eine analoge Ersatzhandlung, ein verzweifelter Kampf gegen Windmühlen. Die eigentliche Revolution findet nämlich nicht auf der Straße, sondern in den Rechenzentren statt, wo Daten zu Gold gesponnen werden.

Der britische Physiker Dan McQuillan hat kürzlich die provokante Frage aufgeworfen: “Warum gibt es keine wütenden Massen vor den Facebook-Rechenzentren?” Gründe für eine Revolte gäbe es genug: Fake-News, Datenskandal, Überwachung, dazu die subtile Unterwanderung durch Troll-Fabriken. Trotzdem entlädt sich der ganze Zorn im Netz, was dem Technologiekonzern beständig Werbedollars einbringt und somit systemstabilisierend wirkt. Facebook hat in der nordschwedischen Stadt Luleå nahe dem Polarkreis sein erstes Rechenzentrum in Europa errichtet – offiziell heißt es, man wolle Kühlkosten für die heiß laufenden Server sparen. Oder liegt es vielleicht daran, dass die Gegend nicht so stark besiedelt ist und man damit das Risiko minimiert, zum Ziel von Angriffen zu werden?

Google schützt seine Serverfarmen mit biometrischen Erkennungsverfahren, Metalldetektoren und  laserbasierten Einbruchmeldeanlagen wie eine Festung. Auf der Webseite heißt es: “In den Rechenzentren selbst setzen wir Zugangskontrollen, Wachpersonal, Videoüberwachung und Umzäunungen ein, um die Standorte jederzeit auch physisch abzusichern.”

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