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Großbritannien: Die Stunde der Rebellen

Im britischen Parlament könnte es in den kommenden zehn Tagen zu einer spektakulären Revolte kommen. Mit Spannung wird zwar auch der Auftritt von Premierministerin Theresa May am heutigen Montag im Parlament erwartet, wo sie einen Plan B zum Brexit vorstellen will. Noch spannender aber ist, ob sich die Abgeordneten darauf einigen werden, von der Regierung die Initiative an sich zu reißen, um eine Lösung für die verfahrene Situation zu finden.

Denn der Premierministerin gelingt es bislang nicht, einen neuen, überzeugenden Brexit-Plan zu präsentieren, der ihr eine sichere Mehrheit im Parlament verschaffen würde. Versuche ihrer Regierung, der Opposition eine Art Zollunion mit der EU in Aussicht zu stellen, um Labour-Abgeordnete für sich zu gewinnen, scheiterten in den vergangenen Tagen. Die Sorge vonseiten der Regierung war zu groß, wichtige Brexit-Anhänger in den eigenen Reihen zu verlieren. Ein anderer Plan der Regierung, den umstrittenen Backstop zur irischen Grenze von dem Austrittsvertrag zu trennen, blieb ebenso umstritten und unklar.

Je länger jedoch May mit ihren Lösungsversuchen scheitert, desto mehr Abgeordnete im britischen Unterhaus schlagen sich auf die Seite der Rebellierenden, die das Parlament über den Brexit bestimmen lassen wollen. Das ist nach britischem Recht theoretisch möglich, aber an komplexe Regeln gebunden. Eine Mehrheit der Abgeordneten müsste dafür stimmen, ebenso das House of Lords, das britische Oberhaus.

Worum geht es genau?

Die Regierung von Theresa May war nie davon angetan, dem Parlament Einfluss auf den Brexit zu geben, wohl wissend, dass die Mehrheit im Parlament einen Verbleib Großbritanniens in der EU befürwortet. Deshalb gibt es seit Beginn der Austrittsverhandlungen zwischen Regierung und Abgeordneten einen Machtkampf. Als May 2017 die EU über den Wunsch Großbritanniens unterrichten wollte, nach Artikel 50 aus der Europäischen Union treten zu wollen, erstritt die Juristin und Unternehmerin Gina Miller vor dem Obersten Gerichtshof eine Entscheidung, die die Regierung zwang, zunächst das Unterhaus um Zustimmung zu bitten.

Die Richter, die damals von der Boulevardpresse als “Verräter des Volkes” beschimpft wurden, räumten dem Parlament erhebliche Mitbestimmungsrechte über Artikel 50 ein. Die Regierung war damit abhängig von der Zustimmung des Abgeordneten. Aber anstatt die Gelegenheit zu ergreifen, stimmte das Parlament dem Antrag bedingungslos zu. “Warum haben die Abgeordneten die Gelegenheit damals bloß nicht am Schopf ergriffen?”, fragt der Professor für Öffentliches Recht an der Universität Cambridge, Mark Elliott. Das Parlament hätte May damals unter Druck setzen und zum Beispiel nur unter der Bedingung zustimmen können, dass May einen No Deal ausschließen würde. Das aber unterblieb. Chance vertan.

So geht es weiter mit dem Brexit

Das britische Unterhaus hat Theresa Mays Brexit-Kompromiss abgelehnt. Das Misstrauensvotum hat sie aber überstanden. Die Grafik zeigt, wie es weitergehen könnte.

Flussdiagramm mit den möglichen Ausgängen der Brexit-Verhandlungen


©  ZEIT ONLINE

Im Nachhinein versuchten Abgeordnete wie der ehemalige Oberstaatsanwalt Dominic Grieve, wieder mehr Einfluss für das Parlament durchzusetzen. Er hatte Erfolg: Über ein langes Prozedere von Änderungsanträgen und Verhandlungen mit der Regierung setzte Grieve im vergangenen Jahr durch, dass der Brexit-Vertrag vom Parlament genehmigt werden muss. Die erste Abstimmung am 15. Januar verlor die Regierungschefin bekanntermaßen mit 202 zu 432 Stimmen.

Mehr Macht für das Parlament

Mays Alternative, die sie heute präsentieren will, kann möglicherweise ein besseres Abstimmungsergebnis erzielen. Die Abstimmung für diesen Plan B ist für den 29. Januar angesetzt. Von den Abgeordneten können jedoch Änderungsanträge eingebracht werden. Genau das ist der Hebel, den die Rebellierenden um Grieve nutzen wollen.

Sie möchten durchsetzen, dass das Parlament entscheiden kann, wie es bei den Austrittsverhandlungen weitergeht, wenn sich keine Mehrheit für einen Brexit-Vorschlag findet. Um den Änderungsantrag erfolgreich einzubringen, braucht Grieve 300 Stimmen im Parlament. Das sollte nicht schwer zu erreichen sein.

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