/Deutscher Krimipreis: “Es muss so fantastisch sein, einen Penis zu haben”

Deutscher Krimipreis: “Es muss so fantastisch sein, einen Penis zu haben”

So schnell wie ihre Hauptfigur, die Staatsanwältin Chastity Riley, denkt und spricht auch Simone Buchholz. Nach 2017 für “Blaue Nacht” ist es bereits der zweite Krimipreis für die beiden. Entsprechend freute sich die Autorin auf Twitter auch über die Auszeichnung. Auch wenn die Berichterstattung darüber mancherorts einen kleinen Beigeschmack für sie hatte.

ZEIT ONLINE: Herzlichen
Glückwunsch, Frau Buchholz! Sie bekommen ja ohnehin gefühlt andauernd Preise, gewöhnt man sich
irgendwann schon dran?

Simone Buchholz: Nee,
da gewöhnt man sich überhaupt nicht dran. Weil ich auch vorsichtshalber nicht
damit rechne. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich eine Frau bin und
immer tiefstaple. Bei jedem neuen Buch denke ich mir: Jetzt bin ich bei den Rezensionen sicher wieder
in der Ohrfeigenanstalt gelandet, obwohl das sehr selten passiert. Aber nein, ich
gewöhne mich nicht dran. Ich freu mich und ich freue mich für jede Frau mit,
die so einen Pott gewinnt, das arbeitet an der Sichtbarkeit von Frauen, auch
gesellschaftlich. In dem Moment, wo man so ein Ding in der Hand hält, wird man besser
gehört.

ZEIT ONLINE: Was
kann man sich für einen Deutschen Krimipreis kaufen – außer mehr Lautstärke?

Buchholz: Erst
mal gar nichts, der Preis ist ja undotiert. Aber es ist ein wahnsinnig wichtiger
Preis, der einem dabei hilft, sich zu etablieren. Und er macht, dass man an
meiner Arbeit nicht mehr vorbei kommt. Denn es ist natürlich schön, wenn ich vom
Schreiben leben kann, aber vor allem möchte ich mit meinen Geschichten in die Köpfe
der Menschen, um etwas zu bewegen. Das geht besser, wenn man ein bisschen dekoriert
ist.

ZEIT ONLINE: Verzeihung,
aber etabliert sind Sie doch längst?

Buchholz: Das
sagen Sie! Ich rechne ständig damit, dass es vorbei ist. Diese Angst haben doch
alle Künstler, dass man draufkommt, dass sie nur bluffen.

ZEIT ONLINE: Aber
vor allem Frauen!

Buchholz: Ich
kenne auch viele Männer, die diese Angst haben.

ZEIT ONLINE: Was
wollen Sie denn in die Köpfe der Menschen kriegen?

Buchholz: Ich hoffe,
dass durch jeden Satz in meinen Romanen meine Haltung schimmert, wie ich die
Welt, die Menschen und die politischen Verhältnisse sehe. Und auch, was ich von
Gewalt halte – die in meinen Romanen ja gar nicht so explizit vorkommt. Mir
geht es eher darum, was Gewalt mit Menschen macht. In Mexikoring geht es um
strukturelle Gewalt und um Menschen, die in geschlossenen Systemen stecken und
davon getreten werden. Ich möchte erzählen, was Gewalt hinterlässt, aber ich möchte
das nicht mit dem Zeigefinger machen, sondern über Figuren, die den Leserinnen und Lesern
nahekommen.

ZEIT ONLINE: Der
Ton Ihrer Bücher hebt sich von der Krimimasse ab, ist das Absicht oder können
Sie nicht anders?

Buchholz: Ich habe
das Gefühl, dass in dem ganzen Gelaber um uns herum sehr viel ersäuft. Wenn man
will, dass die Leute einem zuhören, muss man so schreiben, dass sie beim Lesen stolpern.
In dem Moment, in dem ich in Plattitüden rutsche, hört mir keiner mehr zu. Es spielt
mir aber auch in die Hände, dass ich eine merkwürdige Hauptfigur habe, mit
einem eher komplizierten Zugang zu Gefühlen. Wenn die über ihre Sicht auf die Welt
und die Menschen spricht, muss sie sich das in besonderen Bildern zurechtlegen,
weil sie sich sonst nicht ausdrücken kann.

ZEIT ONLINE: Wenn
man in Hamburg und noch dazu auf dem Kiez wohnt, muss man sich da ständig ducken,
weil die Krimiideen von links und rechts geflogen kommen?

Buchholz: Der
Sänger Bernd Begemann sagte einmal, es gibt Städte, in denen man mit Drogen
beworfen wird und solche, in denen man mit Alkohol beworfen wird. Ich finde,
auf St. Pauli wird man mit Figuren beworfen, die drängen sich richtiggehend
auf. Ich muss eher aufpassen, dass ich nicht jede und jeden mitnehme. Würde ich
in der Peripherie wohnen, müsste ich sicher manchmal reinfahren in die Stadt.

Neben “Mexikoring” von Simone Buchholz wurden in der Kategorie National die Bücher “Die Tankstelle von Courcelles” von Matthias Wittekindt sowie “Finsterwalde” von Max Annas mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet.
© Suhrkamp

ZEIT ONLINE: Ihre
Bücher lesen sich phasenweise so, als würden Sie ein ganzes Kapitel ohne
Luftholen durchschreiben. Wie lange brauchen Sie wirklich dafür?

Buchholz: Ich
halte schon manchmal die Luft an, aber eher, weil es so anstrengend ist. Ich schreibe
überhaupt nicht schnell, das ist mehr eine Arbeit mit Hammer und Meißel. Mein Mann
ruft immer wieder rüber: “Atmen nicht vergessen!”

ZEIT ONLINE: Sie
haben auf Twitter
ein wenig irritiert auf die Art reagiert, wie Ulrich Noller vom WDR nach
Bekanntgabe der Deutschen Krimipreise über ihr Buch und die Werke der zweit-
und drittplatzierten Männer geschrieben hat. Wieso?

Buchholz: Ach, das
kennen wir doch schon seit Langem. Deswegen ist meine Irritation eher von der
Kategorie: “Ich habe jetzt langsam die Schnauze voll.” Es gibt wahnsinnig viele
Untersuchungen über die unterschiedliche Art, wie über Literatur von Frauen
und Männern gesprochen wird, und welche Aufmerksamkeit ihnen im Feuilleton geschenkt
wird. Ich kann mich da eigentlich nicht beklagen, weil ich auch immer wieder tolle
Rezensionen von Männern bekomme. Aber bei diesem Blogeintrag habe ich mir
wieder gedacht: Ach Jungs, achtet doch auf die Feinheiten! Beziehungsweise die
Grobheiten.

ZEIT ONLINE: Was genau meinen Sie?

Buchholz: Ich verehre die beiden Kollegen Matthias Wittekindt und Max Annas,
wir haben alle zusammen gewonnen, aber wenn mein Buch “lichte Unterhaltung” ist,
und die Bücher der Männer “existenzialistische Literatur” oder “politisch
radikal” sind, dann denke ich schon: Oh Mann, es muss so fantastisch sein,
einen Penis zu haben! Und wieso muss alles, das keinen Penis hat, klein gemacht
werden? Wir reden seit so langer Zeit schon von diesem strukturellen Problem, wir
müssen immer wieder darauf hinweisen, und mich macht das so müde. Als ich vor
zwei Jahren schon einmal gewonnen hatte, als Zweitplatzierte, wurde zum
Beispiel penetrant darauf hingewiesen, ich hätte “Silber geholt”, während die
Männer, egal auf welcher Platzierung, “mit dem Deutschen Krimipreis
ausgezeichnet” werden.

ZEIT ONLINE: Warum
das?

Buchholz: Das
frage ich mich auch. Aber es zahlt eben auf diese kollektive Erzählung ein: “Wow,
sie hat Silber, da hat sie sich ja echt angestrengt, aber da ist natürlich auch
noch Luft nach oben, Mäuschen.”

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