/“Tatort” Dortmund: Nimrod war einst ein großer König

“Tatort” Dortmund: Nimrod war einst ein großer König

Die Schauspieler im Dortmunder Tatort: Zorn (WDR-Redaktion: Frank Tönsmann) tragen ihre Rollen wie notdürftig im
Urlaubsort zusammengekaufte Kleidung, weil sie vergessen haben, die eigentliche
Garderobe einzupacken. Götz Schubert spielt zum Beispiel einen Reichsbürger
namens Keller, den man nur deshalb als Reichsbürger erkennt, weil einem der
Film das sagt – Keller erzählt etwas von eigenem Staatsgebiet, trägt ein
militärisches Outfit und hantiert mit Waffen.


"Tatort" Dortmund: Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über "Tatort" und "Polizeiruf 110". Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne "Der Obduktionsbericht".

Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über “Tatort” und “Polizeiruf 110”. Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne “Der Obduktionsbericht”.
© Daniel Seiffert

Im gleichen Modus könnte Schubert auch einen Taxifahrer,
Kneipier oder Vorstandsvorsitzenden spielen. Mit den entsprechenden Sätzen,
Kostümen, Requisiten. Eine Figur ist dieser Keller nicht, was sich auch daran
erkennen lässt, dass der Patriarchen-Arzt, den Schubert vor einer Weile im Frankfurter Polizeiruf
darstellte, greifbarer war in seinen Bewegungen, Handlungen, Äußerungen, kurz:
mehr als die Abspielstation einer bestimmten Funktionalität.

Der Reichsbürger Keller ist darüber hinaus eine obskure
Erscheinung in Zorn. Der Dortmunder Tatort handelt vom Zechenschließen im
Ruhrgebiet und drei arbeitslos gewordenen Kumpels, die so viel historischen
Stolz mitbringen, dass sie weder die Abfindungen des Energieerzeugers annehmen
(wofür genau?) noch als Angestellte einer Erlebniswelt den einstigen
Arbeitsplatz an Touristinnen vermarkten wollen. Sie planen stattdessen, die
alte Zeche in die Luft zu sprengen – und über den Sprengstoff kommen sie zu
Keller.

Die Ermittlung setzt ein, wenn einer der drei tot
aufgefunden wird: Andreas Sobitsch (Daniel Fritz), der ein Verhältnis mit der
Frau (Mona Kloos) seines Kumpels Kropp (Andreas Döhler) hatte. So nistet das
Private (Eifersucht) im Politischen (Sprengstoffanschlag). Der Mordfall ist allerdings
auch nach der vagen Auflösung wirr: Wieso sagt Keller seine Unterstützung zu,
wenn er nach der Überbringung des Sprengstoffs Sobitsch aus Angst vor Zeugen
erschießt, Kropp aber ebenfalls am Tatort ist? Oder wo hat Keller Sobitsch
sonst erschossen, wenn es an anderer Stelle heißt, Sobitsch sei Keller
“gefolgt” (warum auch immer – die Männer wollten doch Sprengstoff von
ihm).

Ob Kropp, der zweite Tote der Folge, sich selbst umgebracht
hat, ist irgendwie auch nicht ganz klar. Man könnte den Satz, den Kommissarin Bönisch (Anna Schudt)
gegen Ende des Films sagt (“Keller hat den erschossen, weil er keine
Zeugen haben wollte”) so verstehen, dass mit “den” Kropp gemeint
ist, was denkbar wäre, weil dieser ja auch am Tatort des Sobitsch-Mordes war.
Grammatikalisch müsste sich das “den” aber eigentlich auf Sobitsch
beziehen, weil Bönisch vorher von ihm gesprochen hat. Ja,
es wird fitzelig, wenn man versucht, sich auf die genauen Abläufe dieses Tatorts einen Reim zu machen.

Aber genaue Abläufe sind nicht das, was das aus groben
Motiven, Milieumarkierungen und Gefühlen zusammengezimmerte Drehbuch von Jürgen Werner auszeichnet. Entsprechend merkwürdig wirkt die Verwicklung des
Verfassungsschutzes in Gestalt von Dr. Klarissa Gallwitz (Bibiana Beglau) in
die Folge. Gallwitz beobachtet den Reichsbürger und heckt mit ihm Deals aus (er
sollte nicht funktionstüchtige Zünder für die Explosion liefern), interessiert
sich dann aber gar nicht dafür, die Leute zu verhaften, die den Anschlag
unternehmen wollen. Für Zorn hat die Verfassungsschützerin den
Vorteil, dass alles Ungeklärte, besser: Undurchdachte der Erzählkonstruktion
unter dem Schweigen eines suspekten Oben begraben wird. Der Verfassungsschutz
ist hier die Gardine der Faulheit, dahinter verschwindet alles.

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