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Cum-Ex: Der Treuhänder

Als Ulrich Mix an einem Mittwochmorgen im März vergangenen Jahres eine
Bühne im Luxushotel Pullmann Schweizer Hof in Berlin erklimmt, ist der Saal erst halb gefüllt.
Es ist der letzte Tag der jährlichen
Handelsblatt*-
Tagung “Betriebliche
Altersversorgung”, einer der wichtigsten Veranstaltungen der Branche. Am Abend zuvor gab es
einen Umtrunk, und viele der eintrudelnden Manager wirken, als wären sie lieber deutlich
später aufgestanden. Doch Mix braucht nicht lange, um seine Zuhörer aufzuwecken. Der
53-jährige Manager kommt ohne Pult und Manuskript aus. Druckvoll und selbstsicher trägt er
vor, die eine Hand an der Fernbedienung für die PowerPoint-Präsentation, die andere lässig in
der Hosentasche. Die Bühne schreitet er auf und ab wie ein Motivationstrainer.

In seinem Vortrag geht es um Betriebsrenten im digitalen Zeitalter, um künstliche Intelligenz
und Algorithmen. Mix möchte seinen Zuhörern, so sagt er es, etwas
“food for thought”,
also Gedankenfutter, mit auf den Weg geben. Es ist die Rolle des seriösen und
verlässlichen, aber auch etwas visionären Finanzfachmanns, in die er bei solchen
Veranstaltungen gern schlüpft.

Was wohl keiner der Zuhörer ahnt: Gegen Mix wird ermittelt. Wegen Untreue, Bestechlichkeit,
Geldwäsche und Steuerhinterziehung. Was die Ermittler zusammengetragen haben, liest sich wie
das Drehbuch für einen Finanzkrimi, der in der Figur von Mix zwei der größten Skandale der
deutschen Wirtschaftsgeschichte miteinander verbindet. Er beginnt im Wirrwarr rund um den
Untergang des KarstadtQuelle-Konzerns – eines Symbols des deutschen Wirtschaftswunders, das
nicht zuletzt der Hybris seiner Manager zum Opfer fiel. Und er führt mitten hinein in den
größten Steuerraub aller Zeiten, den Cum-Ex-Skandal, der Politik und Justiz bis heute in Atem
hält
. Reden will Mix darüber nicht. Als ihn einer der Reporter nach seinem Vortrag auf Cum-Ex
anspricht, verweigert er die Auskunft. Auch auf schriftliche Fragen antwortet er nicht. Kurz
gesagt, lautet der Verdacht der Staatsanwälte, dass Mix mit dem Vermögen der Karstadt-Rentner
ohne deren Wissen Cum-Ex-Geschäfte einfädelte. Dabei lässt man sich Steuern erstatten, die
zuvor gar nicht bezahlt wurden. Der Griff in die Steuerkasse ist der einzige Zweck dieser
Geschäfte (siehe Grafik). Über viele Jahre haben Banker, Berater und Anwälte mit
ihnen systematisch den deutschen Staat geplündert. Zusammen mit den verwandten
Cum-Cum-Geschäften liegt der Schaden für den deutschen Fiskus bei mindestens 32 Milliarden
Euro. Wie eine gemeinsame Recherche von europäischen Medien im vergangenen Jahr zeigte, waren
mindestens zehn weitere Länder betroffen (siehe Kasten).

Die Geschäfte, die Mix eingefädelt haben soll, gingen am Ende auch noch schief. Millionen an
Pensionsvermögen waren weg. Für sich selbst aber hatte der Manager offenbar gesorgt. Die
Ermittlungen legen nahe, dass er von den Cum-Ex-Geschäften über verdeckte Provisionen
persönlich profitierte. Über verschachtelte Offshore-Firmen auf den British Virgin Islands und
in Luxemburg sollen den Eheleuten Mix rund vier Millionen Euro in eine Schweizer
Privatstiftung zugeflossen sein, und das auch noch unversteuert.

Wie kann es sein, dass dieser Ulrich Mix noch immer auf Bühnen steht und dort als angesehener
Finanzexperte auftritt? Dass er bis heute das Geld Tausender Karstadt-Pensionäre verwaltet?
Man kann seine Geschichte auch als Parabel lesen: auf einen Kapitalismus, in dem der Untergang
eines Unternehmens für die meisten Mitarbeiter einen tiefen Einschnitt in ihrem Leben
bedeutet, es Managern wie Mix aber gelingt, sogar aus einer Pleite noch Profit zu
schlagen.

Noch heute treffen sich die Pensionäre der ehemaligen Karstadt-Filiale Hamburg-Billstedt alle
drei Monate im kroatischen Restaurant Tunici. An einem Dienstag im Dezember haben sie den
Tisch vorweihnachtlich mit Tannenzweigen und selbst gebastelten Kerzen dekoriert, knapp 20
Pensionäre sind gekommen. Eine von ihnen ist Helga Meyer, 68 Jahre. Früher hat sie als
Verkäuferin in der Betten- und Gardinenabteilung gearbeitet. Mit ihren Kollegen von damals
redet sie nun über ihre Kinder und Enkelkinder, über Krankheiten und, natürlich, über
Karstadt, über das schreckliche Ende, aber auch über die guten alten Zeiten, an die sich alle
hier erinnern. “Ich habe gerne Kunden beraten und ihnen geholfen, das zu finden, was ihnen
gefällt”, sagt Meyer. Ihre Kollegen seien für sie wie eine Familie gewesen. “Karstadt war
unser Leben.”

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