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Pornofilme: Der weibliche Blick

Alle schauen Pornos. Okay, nicht alle, aber viele. Obwohl die meisten Pornos immer noch von Männern gesehen werden, gibt es gerade unter jüngeren Frauen immer mehr, die auch welche konsumieren. Laut einer Studie, die Porn Hub 2018 veröffentlichte, zählt die Seite in Deutschland mittlerweile 24 Prozent Nutzerinnen, drei Prozent mehr als noch im letzten Jahr.

Die meisten Männer, die ich kenne, finden Frauen, die über Pornos reden, irgendwie “cool”. Frauen, die keine Pornos schauen beziehungsweise nicht darüber reden wollen, werden zur gleichen Zeit noch und immer wieder als verklemmte Alte abgestempelt, die insgeheim keine Lust auf Sex haben. In offener Solidaritätsbekundung zu allen Frauen, die keine Pornos schauen oder nicht darüber reden wollen, rede ich jetzt über Pornos. Weil in unserem Verhältnis zu ihnen etwas ausgetragen wird, das uns alle angeht.

Und ja, es wird jetzt explizit. Weil das die Sprache dieser Bilder ist, denen die meisten von uns sich regelmäßig aussetzen. Und ja, es wird auch pornografisch. Nicht zuletzt, weil es eine Frau ist, die spricht. Wenn Philip Roth in Portnoys Beschwerden auf 20 Seiten über sein Masturbationsfrühlingserwachen schreibt, ist das lustig oder radikal. Wenn ich es tue, mache ich mich darin zum Objekt der Fantasien des Lesers. Sich dem zu entziehen, ist unmöglich: Ins Klinisch-Distanzierte zu verfallen, wäre genauso eine Anpassung an diese Erwartung, wie in die Vollen zu gehen. Die Sprache, in der wir uns selbst neu schreiben können, muss erst noch erfunden werden. Vorerst ist es diese.

Ich sehe Pornos ungefähr seit dem Zeitpunkt, als meine Eltern mir mit zwölf einen Computer mit DSL-Anschluss ins Zimmer gestellt haben. Seitdem bewegen sich meine Präferenzen innerhalb einer relativ engen Bandbreite aus heterosexuellem Hardcore. Einer meiner Lieblingspornos ist der, in dem Rocco Siffredi eine Frau an den Haaren in eine Toilettenschüssel drückt, nachdem er sie sechs Minuten lang von hinten gevögelt hat, um anschließend in ihr mit Mascara verschmiertes Gesicht zu kommen. Ich kann nicht sagen, dass ich mich dafür schäme, dass mich diese Szenen anmachen. Vielleicht finde ich es sogar selber ein bisschen cool. Trotzdem stellt sich jedes Mal, nachdem ich gekommen bin, ein dumpf-widerliches Gefühl ein, das mich dazu bringt, sofort panisch alle Tabs zu schließen.

Vielleicht, weil es tatsächlich eine ziemlich offensichtliche Diskrepanz zu dem gibt, was ich mir abseits meiner Befriedigungsaktivitäten sonst gerne so anschaue. Jedenfalls nicht Frauen, die von orangegebrannten Stiernacken mit Schaum vorm Mund in Grund und Boden gerammelt werden. Ich frage mich also, was diese Filme, die ich mir seit 15 Jahren mindestens zweimal die Woche reinziehe, mit mir tun, warum ich mir gerade die reinziehe, ob es anderen Frauen auch so geht, und was unsere Beziehung zu diesen Bildern über das aussagt, was küchenpsychologische Editorials, Hohepriester und Gynäkologen seit 4.000 vor Christus versuchen zu begreifen: weiblichen Sex.

Ich entscheide mich für eine kleine Feldstudie – und starte mit Selbstbeobachtung. Das Setting versuche ich, möglichst originalgetreu zu reinszenieren: Vorhänge zu, aufs Bett, Kissen hinterm Rücken, Laptop neben mich, Hände frei. Die Pornos, die ich mir anschaue, gehören zu den beliebtesten klassischen Formaten weltweit. Die erwähnten Rocco-Siffredi-Sachen, Casting Couch, POV, also Point-of-View-Shot-Filme, bei denen der Mann eine GoPro auf dem Kopf hat oder selber die Kamera führt. Und die, in denen ein Mann fickt und ein anderer die Kamera hält.

Die Autorin
© Christoph Mack

Ergebnis der vorläufigen Analyse: Die Pornos, die ich sehe, haben alle etwas gemeinsam. Der männliche Blick, der in der feministischen Theorie und auch abseits davon mittlerweile berühmt-berüchtigte “Male Gaze”, wird durchexerziert von vorne bis hinten. Die Kamera, das Set und der Darsteller gehen bei allen Filmen meiner Auswahl eine Komplizenschaft miteinander ein. Die Frau kommt von außen dazu, in den Casting-Couch-Sequenzen etwa als vermeintliche Amateurin, die als einzige im Raum nicht weiß, wie heftig es gleich zur Sache gehen wird, während sie noch harmlose Fragen nach ihrem Boyfriend und ihren Haustieren beantwortet. Sie ist das Ding, auf das sich die Aufmerksamkeit und die Action in der Folge richtet.

Durch die den Bildern eingeschriebene Perspektive, durch das besagte Blick- beziehungsweise Ficktriumvirat, wird man als Zuschauerin automatisch Teil dieser Komplizenschaft. Bei den POV-Filmen, die die Frau in gewisser Weise aus Ego-Shooter-Perspektive vorführen, passiert das sogar noch deutlicher.

Ich drücke auf Pause und rufe ein paar heterosexuelle Männer an. Ich will wissen, wie die das sehen, was genau sie daran anmacht, schließlich sind sie ja das Hauptzielpublikum. Ergebnis der Umfrage: Für die meisten Männer, mit denen ich gesprochen habe, ist es ziemlich eindimensional. Heruntergebrochen: Sie wollen halt die Darstellerin im Bild so ficken, wie der Mann sie da gerade fickt. Er ist ihr Stellvertreter.

Ich frage mich, was das für mich als Frau bedeutet, die die gleichen Filme sieht. Wer fickt denn hier für mich?

Die weibliche Darstellerin jedenfalls nicht. Ich stelle mir zu keinem Zeitpunkt vor, so gevögelt zu werden wie die Frau in den Bildern. Das wäre zwar der logische Folgeschluss, ist aber überhaupt nicht so. Es muss um irgendetwas anderes gehen. Doch auch der männliche Darsteller ist für mich absolut uninteressant. Wie groß sein Penis ist, ob der Mann schwabblige Oberarme oder schiefe Zähne hat, durchtrainiert, alt, jung, rasiert oder haarig ist, total egal. Er muss nur wollen, das ist irgendwie das Wichtigste, stelle ich fest. Man muss dem Kerl ansehen, dass er ganz schrecklich große Lust auf die Frau hat, so sehr, dass er gar nicht anders kann, als über sie herzufallen. Je härter er dann an ihr herumzerrt, desto sichtbarer wird das, inklusive der Übersteuerungen, wie zum Beispiel bei der Toilettenschüsselsache. 

Das passiert in meiner Wahrnehmung aber eher im Hintergrund. Ich schaue fast die ganze Zeit die Frau an. Ihren Körper, ihre Nacktheit, ihre Entblößung, ihre Scham. Der Moment, in dem etwas vermeintlich Echtes bei ihr durchbricht, macht mich viel mehr an als der Typ, seine Physiognomie oder sein Gesichtsausdruck, den man ohnehin fast nie sieht. Die Frau ist also auch für mich in jedem Fall viel mehr Objekt, sogar und gerade in den Momenten, in denen die Sichtbarkeit von Schmerz, Hingabe und Ausgeliefertsein die Performance sprengt. Sie wird für mich in dieser Konstellation, auch durch die Logik des Bildaufbaus und des Plots, auf eine verschobene Art zum Anderen, auf das ich schaue. Daran ist irgendetwas ziemlich schizophren, zumal ich im echten Leben eher nicht auf Frauen stehe.

Im Gegensatz zu den Männern hat jede Frau einen radikal eigenen Modus, mit den Bildern umzugehen.

Ich frage mich, ob mein Erleben sich mit dem anderer Frauen deckt. Ich mache also weiter mit der Masturbationstelefonie und rufe hintereinander neunzehn Frauen unterschiedlichen Alters, unterschiedlicher Herkunft und Lebenssituation an, die ich kenne und von denen ich weiß, dass sie hin und wieder oder regelmäßig Pornos sehen. Ich hänge bis nachts um vier an der Strippe, am Ende habe ich eineinhalb Schachteln Zigaretten geraucht und eine Reihe notgedrungener Herrengedecke intus. Das Ergebnis ist für mich ziemlich überwältigend: Ihr Zugriff ist in einigen Punkten komplett anders als meiner. Im Gegensatz zu den Männern, bei denen im Großen und Ganzen Übereinstimmung herrschte, hat hier jede einzelne einen radikal eigenen Modus, mit den Bildern umzugehen.

Während mir eine Frau erzählt, dass sie die echten Menschen gar nicht richtig sehen will und deshalb immer nur zu den Close-Ups der Geschlechtsteile spult, erzählt mir eine andere, dass sie das Gefühl habe, das Ganze aus einer Art auktorialen Perspektive zu sehen, “wie Gott oder so”. Die nächste sagt, sie möge es vor allem, zuzusehen, wie die Darstellerin “durchhält”, sie sehe sich deshalb vor allem die Gesichter der Frauen an, wie sie sich zu schwitzigen Grimassen verziehen. Eine andere machen vor allem die Momente “überraschender Nacktheit” von Frauenkörpern an, in denen sie etwas Humoristisches liest. Die meisten sagen, dass sie die Blowjobszenen überspringen. Die homosexuellen Frauen, die ich befrage, schauen zum Teil heterosexuelle Pornos, mit der Begründung, es ginge ja vor allem um die Frau als begehrtes Objekt, logisch. Die Schwänze sind da eher im Weg, die Lesbenpornos aber oft zu kuschelig.

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