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AfD: Partei unter der Lupe

Die AfD wird zum Prüffall. Warum berichtet der Verfassungsschutz darüber so transparent? Und kann das der Partei auch nützen? Die wichtigsten Fragen und Antworten

18. Januar 2019, 17:11 Uhr

AfD: Ein Bild aus früheren Tagen: Im September 2017 zog die AfD in den Bundestag ein. Das Banner stellte sie bei ihrer ersten Sitzung im Parlament auf.

Ein Bild aus früheren Tagen: Im September 2017 zog die AfD in den Bundestag ein. Das Banner stellte sie bei ihrer ersten Sitzung im Parlament auf.
© Steffi Loos/AFP/Getty Images

Keine
zwei Monate ist Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang im Amt, und schon hat er eine Entscheidung verkündet, die politisch noch viele Auswirkungen haben könnte: Er hat eine Partei, die im Bundestag und in
allen Landtagen sitzt, als Prüffall für die Beobachtung durch den Inlandsgeheimdienst eingestuft. Die AfD-Jugendorganisation
Junge Alternative sowie den rechtsnationalen “Flügel” der Partei hat der
Verfassungsschutz sogar zum Verdachtsfall erklärt.

Mit der öffentlichen Ankündigung agiert das
Bundesamt
weitaus transparenter als in der Vergangenheit, als die Linke und die
NPD ins Visier des Verfassungsschutzes gerieten. Hendrik Thalheim war Pressesprecher der Linksfraktion im Bundestag, als die
Partei
2006 erst als Verdachtsfall gelistet und in
Teilen
später
auch vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. “Uns
hat damals
niemand gesagt: Wir prüfen eine Beobachtung”, sagt er rückblickend.

Was ist ein Prüffall?

Was bedeutet es genau, wenn die
Verfassungsschützer die AfD nun bundesweit als Prüffall
eingestuft haben?
Der Geheimdienst sieht erste Anzeichen für extremistische
Bestrebungen und wertet nun nach eigenen Angaben die “offen wahrnehmbaren Aktivitäten”
der Partei aus. Nachrichtendienstliche Mittel sind bei Prüffällen tabu: Personenbezogene Daten, dazu zählen äußerliche
Merkmale, Motive und Absichten
, darf der Geheimdienst nicht speichern.
Auch dürfen keine V-Leute angeworben oder Telefone abgehört
werden. Die
Verfassungsschützer setzen nun im Grunde ihre Arbeit der vergangenen Monate
fort: Sie sammeln weiter Material über die Partei. Nur systematischer als vorher.

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Was ist ein Verdachtsfall?

Der
wirklich tiefe Einschnitt für die Partei ist die Einstufung als
Verdachtsfall – denn hier kann der Verfassungsschutz
nachrichtendienstlich überwachen. Gegen die Jugendorganisation Junge
Alternative und die parteiinterne Sammlungsbewegung der Flügel
sammelten die Verfassungsschützer aus ihrer Sicht genügend
Anhaltspunkte, die auf eine extremistische Bestrebung hindeuten. Sie
dürfen nun personenbezogene Daten speichern und die Gliederungen nachrichtendienstlich, wenn auch eingeschränkt, überwachen. Eine
Observation ist beispielsweise gestattet, ebenso das Einholen
bestimmter Informationen von Behörden. Das Abhören von
Telekommunikation ist dagegen nur in Abstimmung mit dem zuständigen Ministerium und dem Bundestag erlaubt.

Bei der Jungen Alternative sehen die Verfassungsschützer zum Beispiel Anzeichen für
eine migrations- und islamfeindliche Haltung. So forderte der AfD-Jugendverband eine Ausgangssperre für männliche Geflüchtete und
warnte vor einem “Bevölkerungsaustausch” durch Muslime, wie es in der Begründung der Verfassungsschützer heißt.

Für den rechtsnationalen Flügel
verdichten sich aus Sicht des Verfassungsschutzes die Anzeichen,
dass die Bewegung Ausländer, Migranten, insbesondere Muslime, und
politisch Andersdenkende weitgehend rechtlos stellen wolle. Der Flügel um den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke ist
ein loser Zusammenschluss von besonders nationalkonservativ
eingestellten Parteimitgliedern. Als Gründungsdokument gilt die
Erfurter Resolution von 2015, die 23 Erstunterzeichner listet. Der
Parteivorsitzende Jörg Meuthen schätzte,
dass der Flügel für rund zwanzig Prozent der Partei stehe. Nun stellt sich vor allem die Frage, wie groß der Verfassungsschutz
den Personenkreis mit Verdächtigen zieht. Hat er alle Unterzeichner
der Erfurter Resolution im Verdacht? Oder vor allem die Gäste des
jährlichen Kyffhäusertreffens des Flügels?

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Wie kommt der Verfassungsschutz zu seinem Urteil?

Der Verfassungsschutz hat 1.069 Seiten
Material
über die AfD ausgewertet. Eingeflossen sind laut der Behörde Informationen aus den
Facebook-Profilen von rund 80 Funktionären sowie aus Reden,
schriftlichen Publikationen und von öffentlichen Auftritten.
Äußerungen im Bundestag oder Landtag wurden nicht einbezogen, da
Parlamentier speziell geschützt sind. Der Verfassungsschutz darf aber auswerten, was Abgeordnete außerhalb
des Parlaments sagen.

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Wie reagiert die AfD?

Ob
die Entscheidung des Verfassungsschutzchefs der AfD nützt oder schadet, wird
unterschiedlich bewertet. Nationalist Björn Höcke sieht kein Problem für die
Partei, das hat er auch in der Vergangenheit schon gesagt.
Spitzenfunktionäre wie Alexander Gauland und Alice Weidel bezeichnen
die Einstufung als “töricht”
und “Vorverurteilung”.
Die AfD hat bereits eine Klage angekündigt. Derzeit prüft die
Partei, welches Gericht zuständig ist und welche Form die Klage
haben wird.

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Nützt oder schadet es der AfD?

Die
Folgen der Entscheidung sind noch nicht absehbar. Gertrude
Lübbe-Wolff, ehemalige
Richterin am Bundesverfassungsgericht, gibt
zu bedenken:
“Für
eine Partei ist es
ein erheblicher Wettbewerbsnachteil, wenn sie zum Objekt der
Tätigkeit des Verfassungsschutzes wird – auch wenn zunächst nur
“Anhaltspunkten” für verfassungsfeindliche Bestrebungen
nachgegangen wird. Das
kann potenzielle Mitglieder, Förderer und Wähler abschrecken.”

Das
transparente Vorgehen des Verfassungsschutzes mag ungewöhnlich
erscheinen: Warum teilt
Haldenwang
seine Gedanken über Prüf- und Verdachtsfall öffentlich mit? Wie es aus Sicherheitskreisen
heißt, liege
das an drei Punkten: Erstens sei die Partei eine relevante Größe.
Sie ist mit 12,6 Prozent in den Bundestag gewählt, sitzt in allen deutschen Landtagen und hat
mehrere zehntausend
Mitglieder. Zweitens dürfe
die politische Diskussion nicht vergessen werden. Abgeordnete
anderer Parteien fordern schon lange, die AfD beobachten zu lassen.
Die Landesverbände der
AfD-Jugendorganisation in Bremen, Niedersachsen und Baden-Württemberg
werden bereits von den dortigen Landesämtern für Verfassungsschutz
beobachtet. In Niedersachsen hat sich die Junge Alternative bereits
aufgelöst und in Baden-Württemberg sind Teile ausgetreten. In
diesem Klima hat sich der Verfassungsschutz für Transparenz
entschieden. Drittens habe
man
die Informationspflicht den Bürgern gegenüber höher eingeschätzt
als das Interesse, den Fokus auf die AfD bis
zum Erscheinen des nächsten Verfassungsschutzberichts geheim zu
halten.

Die
Einstufung als Prüffall könne auch eine Chance für die AfD sein,
heißt
es aus Sicherheitskreisen. Denn
man
gibt ihr
die Möglichkeit, sich zu mäßigen.

Mitarbeit: Tilman Steffen

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