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Games-Branche: Leidenschaft und Überstunden

“Sei
doch froh, dass du dein Hobby zum Beruf machen kannst.” Diesen Spruch
kennen wohl die meisten Menschen, die in der Videospielbranche arbeiten. Das Wichtigste,
so heißt es weiter, sei schließlich die Leidenschaft. Und weil Leidenschaft
weder Geld noch Überstunden kennt, nehmen die Beschäftigten niedrige Löhne und
lange Arbeitszeiten in Kauf. Erst vor Kurzem gab es alarmierende Berichte über
die Arbeitsbedingungen vor
der Fertigstellung von Red Dead Redemption 2
, einem der
erfolgreichsten Spiele des Jahres.

Doch
die Zeiten ändern sich. In Deutschland tat sich in den letzten zwölf Monaten
mehr als in den Jahren davor. Im Koalitionsvertrag werden Games und E-Sports als
förderungswürdig erwähnt. Seit August ist die Sozialadäquanzklausel auch auf
Videospiele anwendbar – die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) darf
nun Games, die verfassungswidrige Symbole wie Hakenkreuze darstellen, eine Jugendfreigabe geben. Im November folgt die
Bekanntgabe, dass Games vom Bund im Jahr 2019 mit 50 Millionen Euro gefördert
werden sollen. Unter Beschäftigten in der Games-Branche gibt es Pläne, eine
Gewerkschaft zu gründen
.

Je
selbstverständlicher Games wirtschaftlich und gesellschaftlich sind, desto stärker
werden sich auch die Arbeitsbedingungen verändern, sollte man meinen. Doch wie
sieht die Lage in Deutschland konkret aus? ZEIT ONLINE hat sich umgehört.

Der Druck im Nacken

Marcus Bäumer hat 2018 die Endphase einer Videospielentwicklung mitgemacht – im
Kleinen. Zusammen mit zwei Freunden hat er Ende 2015 das Indie-Studio Backwoods
Entertainment gegründet. Geholfen hat ihnen sowohl die Medienförderung in NRW
als auch ein Publisher, der sie finanziell unterstützt hat. Im Mai 2018 ist ihr erstes Spiel Unforeseen Incidents erschienen – später als eigentlich geplant. “Wir
waren ja ziemlich unerfahren, haben gemerkt, dass wir es nicht zum eigentlichen
Termin schaffen”, sagt er.

Einen
Veröffentlichungstermin zu verschieben, ist eine heikle Sache, denn die
Platzierung der Spiele ist äußerst wichtig. “Ein Indie-Spiel kann man
nicht im Weihnachtsgeschäft veröffentlichen, da geht es total unter”, sagt
Bäumer. Wenn die Fertigstellung also nicht bis September klappt, wird es direkt
auf den Anfang des nächsten Jahres verschoben – und die Entwickler und Entwicklerinnen müssen dann
schauen, wie
sie finanziell zurechtkommen
. Denn frisches Geld kommt erst,
wenn das Spiel verkauft wird.

Auch
für den Publisher sind Terminverschiebungen ein Problem. Wenn ein Publisher
hinter einem Spiel steht, also den Vertrieb übernimmt, dann fließen auch im
Indie-Bereich große Summen Geld in die Werbung. Application System Heidelberg,
der Publisher hinter Unforeseen Incidents,
hat 250.000 Euro in das Spiel und die Vermarktung gesteckt. Als Entwicklerin tut man dann alles, um den
angepeilten Termin doch schaffen zu können – man spürt den Druck.

“Am
Ende entwickeln wir alle nur Spiele und retten keine Menschenleben”,
betont Johannes Roth, Gründer von Mimimi Productions, einem deutschen
Entwicklerstudio mit Sitz in München. Die 19 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen haben schon Spiele wie Shadow Tactics
entwickelt, welches mit dem Deutschen Computerspielpreis ausgezeichnet wurde. In
seiner Firma werde jede Überstunde festgehalten, sagt Roth. Wenn die Arbeit
abflaut, könnten diese dann abgebummelt werden. Für ein neues Projekt wurden
bereits sieben neue Mitarbeiter eingestellt – auch so könne man die Belastungen
vermindern.

Doch
Roth kann nicht ausschließen, dass es in seinem Betrieb mal zu
Crunch-ähnlichen Zuständen kommt, wie die Phase kurz vor der Deadline eines Spiels genannt wird. Dafür sei die Entwicklung einfach zu komplex,
müssten so viele Zahnräder ineinandergreifen – Design, Story, Programmierung,
Musik, Marketing –, als dass es nicht doch zu Mehrarbeit kurz vor der
Fertigstellung kommt. “Ich kann aber guten Gewissens sagen, dass heute so wenige
Leute wie noch nie bei uns Überstunden machen.”

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