/“Cat Person”: Dieser Typus netter Typ

“Cat Person”: Dieser Typus netter Typ

Menschen sind Kratzbürsten. Sie lügen und betrügen, sie
beißen dem Gegenüber ein Stück Gesicht heraus, weil es sie glücklich macht. Zoologisch
gesprochen: alles andere als pflegeleicht. In Kristen Roupenians
Kurzgeschichten geht es um das menschlich Abgründige. Meist beginnen sie harmlos.
Ein Pärchen gewährt einem gemeinsamen Freund nach dessen Trennung Asyl und
macht sich einen Spaß daraus, beim Sex besonders laut zu sein. Schnell entsteht
eine Herr-Knecht-Dynamik gegenseitiger Abhängigkeiten, die erst in wüsten
Orgien, dann in einem Mord gipfelt. Ein ebenfalls frisch Getrennter versucht,
“sich selbst zu finden”, indem er 18 Stunden am Tag schläft und “durchgeknallte”
Tinder-Dates in sein Müllmotelzimmer bestellt. Eine der Frauen reist mit
Rollkoffer an und möchte von ihm misshandelt werden. Anfängliches Entsetzen –
er ist doch ein netter Typ! – weicht zögerndem Interesse, schließlich
Akzeptanz. Immerhin mal eine Frau, die weiß, was sie will! Hinterher ist sein
Selbstwertgefühl merklich gestärkt.  

Der Typus netter Typ interessiert Kristen Roupenian
besonders. Da ist die Geschichte eines Mannes, der im Lauf seines
Lebens festgestellt hat, dass Frauen nun mal schlecht behandelt werden wollen.
Dass Immobilienmaklerinnen mit teuren Strähnchenfrisuren ihm Wassergläser ins Gesicht schleudern, wundert ihn nur bedingt. Seine liebste sexuelle Fantasie? “Seit er 35
war, konnte Ted beim Sex nur einen hochkriegen und steif bleiben, wenn er sich
vorstellte, dass sein Schwanz ein Messer war und die Frau, mit der er gerade
schlief, sich daran aufschlitzte.” Auch der Protagonist in Matchbox Sign
führt auf den ersten Blick nur Gutes im Schilde. Als seine Freundin von einem
mysteriösen Kratzen befallen wird, bezahlt er den Arzt aus der gemeinsamen
Haushaltskasse. Anders als die Psychotherapeutin, weigert er sich, sie als
eingebildete Kranke zu sehen. Im weiteren Verlauf heiratet er sie, obwohl sie
durch Psychopharmaka zugenommen hat. Zum Dank dafür springt der tatsächlich
existente Parasit seiner Braut auf ihn über. Totale Symbiose, sehr romantisch.

Und da ist Robert. Ihm verdankt die Autorin ihren
Status als short story queen der
sozialen Netzwerke. Cat Person heißt die Ende 2017 im New Yorker erschienene
Geschichte, die unversehens zur literarischen Ikone der #MeToo-Bewegung
wurde
. Mehr als eine Million Dollar soll Roupenian für ihren ersten, nun vorliegenden Sammelband gleichen Titels erhalten haben. Margot, eine 20-jährige Collegestudentin,
trifft sich also mit Robert, einem 34-jährigen Kaninchenfellmützenträger. Das
englische to see someone bezeichnet
diesen Zustand zwischen Date und Affäre sehr treffend. Besonders gut verstehen
sich die beiden in der Sprache der Smileys und wenn sie sich Dinge zuschicken,
die sie im Internet gefunden haben. Nach irgendeinem dritten Bier landen sie
bei Robert. Sie haben Sex, obwohl Margot nicht möchte. Das heißt, sie möchte
nicht wirklich nicht, eher fühlt sie
sich verpflichtet: “Das Problem bestand nicht darin, dass er sie zu etwas
zwingen könnte, was sie nicht wollte. Eher darin, dass, wenn sie jetzt darauf
bestand, aufzuhören, nach allem, was sie unternommen hatte, damit es so weit
kam, es sie mies und launenhaft hätte aussehen lassen. So als hätte sie in
einem Restaurant eine Bestellung aufgegeben, nur um das Essen dann, als es kam,
zurückgehen zu lassen.” Traumatisiert ist Margot deswegen nicht, möchte die Sache
aber auch nicht wiederholen. Robert, der Gekränkte, bombardiert sie daraufhin
mit Nachrichten, die mit “ich vermisse dich” beginnen und mit “Schlampe” enden. Cat Person ist eine zur Pflichtlektüre taugende Geschichte über die
Ambivalenz sexueller Beziehungen, mit besonderem Augenmerk auf diesem schmalen
Grat zwischen Nein und I
would prefer not to
.

Hier schnappt die Emanzipation zu

Die 1982 in Plymouth, Massachusetts geborene Autorin
versucht sich mit mäßigem Erfolg auch an eher fantastischen Gattungen. Sowohl die Geschichten Der
Spiegel, der Eimer und der alte Knochen
als auch Todeswunsch sind etwas befremdliche
Parabeln auf die sehr zeitgenössische Egosucht. Merke: Traummänner können weder
hergezaubert noch aus Putzutensilien zusammengebastelt werden. Merke auch: Ein
besserer Prinz als der aktuelle kommt vielleicht nicht. In Nachtläufer
wiederum macht ein Freiwilligendienstleister, ein weißer Mann mit iPod in Kenia, Bekanntschaft mit einer Schulklasse voller rotzfrecher Mädchen und einem
mit Fäkalien werfenden Geist und möglicherweise stehen die beiden miteinander
in Verbindung… So ungelenk die Geschichte erzählt ist, so genial ist ihr
Versuchsaufbau: Ein Mann wird belästigt und keiner glaubt ihm. Er, das Opfer,
geht aus Scham nicht zur Polizei. Um
weibliche Rache geht es auch in Beißerin, wo eine Büroangestellte aus ihrem
Hamsterrad ausbricht, indem sie sich im Adamsapfel ihres Vorgesetzten verbeißt
“wie ein Granny Smith”. Praktischerweise stellt sich heraus, dass dieser schon
mehrmals durch sexuelle Belästigung auffiel, was Ellies Angriff zu Notwehr und
sie zur gefeierten Heldin macht. Hier hat die Emanzipation zugeschnappt – ein
weiterer böser, kleiner Seitenhieb auf jene Debatte, die vergangenes Jahr von
den sozialen Medien aus die Welt eroberte.

“Zum ersten Mal werden die Befindlichkeiten der
Millenials beschrieben”, lobte die Washington Post Roupenians Debüt. So eine Pauschalaussage kann einem schon mal die Laune verderben. Allerdings sind die Protagonistinnen und Protagonisten der Erzählungen auf den ersten Blick sozial
ziemlich kompatibel. Sie laden vom Herzschmerz geplagte Freunde zum Essen ein
und sind “im Gegenzug charmant”. Für ihre besten Freundinnen organisieren sie
Junggesellinnenabschiede in Las Vegas, inklusive einem Auftritt des Teenieschwarms.
In Paarform erstellen sie Haushaltslisten gemäß dem Einkommen. Wenn sie gebeten
werden, jemanden beim Sex zu schlagen, tun sie es. Sie sind Meister der
“glamourösen Nachlässigkeit” und natürlich total souverän im Internet
unterwegs. Aber eben auch getrieben von einer diffusen Sehnsucht nach etwas
Besserem, von Frustration und Bindungsphobie. Verschmust und kratzbürstig. Jene Katzenmenschen
eben, von denen die Titelgeschichte erzählt. 

Kristen Roupenian: “Cat Person. Storys”, übersetzt von Nella Beljan und Friederike Schilbach, 288 Seiten, Blumenbar, 20 Euro

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