/“Dead Washer”: Wer sagt den Frauen, wie stark sie sind?

“Dead Washer”: Wer sagt den Frauen, wie stark sie sind?

Ich lerne Sara Omar im Château de Lavigny kennen, einer alten Villa in einem kleinen Dorf in der französischen Schweiz. Am Tag vor ihrer Ankunft war sie noch auf einem Empfang bei der dänischen Königin, ihr Nachtflug hatte Verspätung, ihr Gepäck ist verloren gegangen. “Ich habe nur das, was ich am Leib habe.” Sie lacht, als sie das sagt. Omar ist zierlich, sie ist schwarz gekleidet, hat manikürte Nägel, große dunkle Augen und langes schwarzes Haar. Die dänischen Medien nennen sie “woman in black“. Auf dem Mittelscheitel prangt eine graue Strähne, wie bei der Heldin ihres Romans, der seit seinem Erscheinen ein ganzes Land elektrisiert.

Vor etwas mehr als einem Jahr war Sara Omar noch eine Studentin der Politikwissenschaften, die ein paar Gedichte veröffentlicht hatte. Sie verehrt persische Dichter, Rumi etwa, den Sufi-Mystiker: “Die Wunde ist der Ort, an dem das Licht in dich eintritt.” Das ist auch ihr Credo. “Ich glaube, dass wir Licht füreinander sein können”, sagt sie.

"Dead Washer": Daniela Dröscher, Jahrgang 1977, wuchs in Rheinland-Pfalz auf und lebt heute in Berlin. Sie schreibt Prosa, Theatertexte und Essays. Thema ihrer Arbeiten ist das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit sowie die Überlagerungen von Klasse, Kultur und Geschlecht. Im Herbst erschien der autobiographische Text Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft bei Hoffmann & Campe. Sie ist Gastautorin von "10 nach 8".

Daniela Dröscher, Jahrgang 1977, schreibt Prosa, Theatertexte und Essays. Thema ihrer Arbeiten ist das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit sowie die Überlagerungen von Klasse, Kultur und Geschlecht. Im Herbst erschien der autobiographische Text “Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft” bei Hoffmann & Campe. Sie ist Gastautorin von “10 nach 8”.

© Stefka Ammon

Sara Omar hat viel erlebt. 1997 floh ihre Familie vor Saddam Hussein aus Südkurdistan, ihr Vater kämpfte in der Peschmerga-Armee. Nach einer Odyssee durch den Iran und Syrien fanden sie vier Jahre später in Dänemark Schutz. “Das Rote Kreuz hat das entschieden. Ich wusste nicht einmal, dass ein Land mit diesem Namen existiert.” Da war Sara 15, ein Teenager. Mit 21 hat man sie gegen ihren Willen verheiratet. Über diese Zeit schweigt sie. Noch. Nur eines gibt sie preis. “Ich bin eine Mutter ohne ein lebendes Kind. Ich bin die Mutter eines toten Mädchens.”

In Skandinavien steht Dødevaskeren (Dead Washer) seit dem Erscheinen im November 2017 auf den Bestsellerlisten. Schauplatz des Buches ist die kurdische Stadt Zamwa, heute Suleimanija oder Slemani. Hier wächst Frmesk (“Träne”) heran, ein kleines Mädchen mit einer rätselhaften grauen Haarsträhne. Ihre Familie erachtet Frmesk von Geburt an als wertlos, einfach, weil sie ein Mädchen ist, kein Junge. Niemand beschützt sie (oder wagt es, sie zu beschützen), als ein religiöser Gelehrter, der dazu noch ein Verwandter der Familie ist, sie missbraucht.

Ich kenne lediglich die ersten 80 Seiten einer englischen Probeübersetzung – mehr waren noch nicht fertig, als ich sie traf. Erst die geplante deutsche Fassung wird mir ihr Buch ganz erschließen. Aber schon die wenigen Seiten, die ich kenne, enthalten Bilder, die ich nie wieder aus dem Gedächtnis bekommen werde. Es ist ein gewalttätiges Patriarchat, das Sara Omar zeichnet. “Aber ich hätte diese Geschichte niemals erzählt, wenn ich nicht um die vielen hellen Seiten meiner Kultur und meines Glaubens wüsste.”

Im Roman verkörpert diese helle Seite Frmesks Großmutter, Gawhar, (“Schatz”): eine gläubige Muslimin und Analphabetin. Sie lebt Frmesk vor, was es bedeutet, eine “mündige”, selbstbestimmte Gläubige zu sein. Gawhar ist Totenwäscherin. Sie reinigt die Leichname der Frauen, die als entehrt gelten. Eine Arbeit, die wiederum selbst als unzüchtig angesehen wird. In ihrem Beharren auf der Würde der “gefallenen” Frauen wird Gawhar zum Vorbild für ihre Enkelin. Sie lehrt sie, was es bedeutet, die Anatomie des weiblichen Körpers besser zu verstehen: “Nicht jedes Mädchen, das noch Jungfrau ist, blutet in der Hochzeitsnacht.”

Sara Omar nennt ihr Buch eine “Kampfschrift” gegen einen patriarchalen Islam. Sie selbst ist eine gläubige Muslimin. Die aber nicht betet; jedenfalls nicht für andere sichtbar. “Ich bete in meinem Herzen”, sagt sie. Und: “Ich kenne meinen Koran von A bis Z. Ich lasse mir von niemandem vorschreiben, was darin steht.” Ihr liebstes Beispiel ist das Kopftuch, das sie mit etwa 16 Jahren abgelegt hat. Sie ist keine Gegnerin des Kopftuchs, es gibt viele Gründe, eines tragen zu wollen, sagt sie. Aber, so fügt sie hinzu, “da steht: Es muss ein ‘Schleier’ zwischen Mann und Frau sein. Das bedeutet: Es muss eine Grenze zwischen den Geschlechtern geben. Einen – Respekt füreinander.” Das Kopftuch ist also eine Erfindung des Patriarchats? Sie lacht. “Ja. Hätte Gott gewollt, dass Frauen immer ein Kopftuch tragen, kämen Mädchen mit einem Kopftuch auf die Welt.” Eine andere Lieblingsstelle betrifft die Homosexualität. “Da steht, dass die Familie einverstanden sein muss mit dem Mann oder der Frau, den oder die eine Frau oder ein Mann wählt. Aber da steht nicht, welches Geschlecht der jeweils andere haben soll. Also – gibt es kein Verbot.”

Seit fast einem Jahr muss Sara Omar sich gleich in drei Richtungen zur Wehr setzen: gegen religiöse Extremisten in Skandinavien, gegen konservative kurdische Medien und gegen die dänischen Rassisten, die versucht haben, ihr Buch für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Gegen Letzteres hat Omar sich in Videobotschaften verwahrt. “Unterdrückung, Kindesmissbrauch, Inzest und Gewalt sind ausnahmslos zu bekämpfen”, sagt sie im Gespräch. “Sie existieren nicht allein in muslimischen Gesellschaften.” Sie lasse nicht zu, sagt sie, dass die Opfer patriarchaler Gewalt erneut missbraucht werden: für die Agenda der Rechten, die in den Tragödien der Frauen und Kinder “sonnenbaden”.

Hits: 33