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Britisches Unterhaus: In der Sackgasse

Die Abstimmung im britischen Unterhaus hat noch einmal gezeigt, wie destruktiv die Brexit-Debatte in Großbritannien mittlerweile geführt wird. Das Problem ist dabei nicht, dass der von Premierministerin Theresa May ausgehandelte Kompromiss mit der EU keine Mehrheit gefunden hat, das war zu erwarten. Dramatisch ist vielmehr, dass sich die Regierung und die Abgeordneten im Unterhaus viel zu wenig bemüht haben, parteiübergreifende und mehrheitsfähige Lösungsansätze zu finden.

Im Streit um den EU-Austritt geht es längst nicht mehr um einen vernünftigen Kompromiss, mit dem Großbritannien die ökonomischen und gesellschaftlichen Schäden minimieren könnte. Für viele Abgeordnete – und vor allem auch für Theresa May – gilt es lediglich, zu verhindern, was man nicht will oder was dem politischen Gegner nutzen könnte. Dieser Egoismus hat das Land in eine politische und verfassungsrechtliche Krise gestürzt.

Momentan existiert, so scheint es zumindest, für keine der noch möglichen Alternativen eine parlamentarische Mehrheit. Weder für ein zweites Referendum noch für einen weichen EU-Austritt mit einem Status ähnlich dem Norwegens. Auch einen Brexit ohne Abkommen lehnt eine Mehrheit der Abgeordneten ab. Hier zeigt sich die ganze Schizophrenie der Debatte: Ein No Deal, auf den die Briten gerade mit hoher Geschwindigkeit zusteuern, kann nur verhindert werden, wenn es gleichzeitig eine funktionierende Alternative gibt. Aber anstatt sie zu suchen, kreist das britische Parlament und mit ihm die Regierung seit Monaten um sich selbst, ohne einer Lösung auch nur nahezukommen.

Mays Taktik ist gescheitert

Theresa May hat versucht, ihren Kompromiss mit allen Mitteln durchzudrücken: Entweder stimmt ihr für meinen Brexit oder ihr bekommt vielleicht gar keinen EU-Austritt oder einen No Deal. Damit ist sie am Dienstag gescheitert. Jetzt muss May, wenn sie nicht von Oppositionsführer Jeremy Corbyn durch das angekündigte Misstrauensvotum gestürzt wird, innerhalb weniger Tage Alternativen präsentieren.

Natürlich kann die Premierministerin über ihren Kompromiss mit der EU, minimal verändert, einfach noch einmal abstimmen lassen. Ob das Ergebnis beim zweiten Mal anders ausfallen würde, ist aber mehr als fraglich. Besser wäre es, in einer ganzen Reihe von Abstimmungen herauszufinden, welche Brexit-Variante das Parlament bevorzugt. So schlägt es zumindest der konservative Abgeordnete Nick Boles vor. Auch mehrere britische Thinktanks haben diese Variante bereits diskutiert. Die Ergebnisse könnten Großbritannien den Weg aus der Sackgasse weisen. Beispielsweise könnte über einen dauerhaften Verbleib in der Zollunion abgestimmt werden, wie es Jeremy Corbyn fordert, oder ein Norwegen-Modell. Aber natürlich hat auch eine solche Variante Folgen: Die EU müsste sich bereit erklären, den bestehenden Kompromiss möglicherweise neu zu verhandeln oder zumindest die Frist nach Artikel 50 zu verlängern.

Gelingt es dem britischen Unterhaus auch auf diesem Wege nicht, einen mehrheitsfähigen Kompromiss zu finden, sollten die Abgeordneten den Mut aufbringen, den britischen Bürgern ihr Scheitern einzugestehen, und – als Ultima Ratio – sie in einem zweiten Referendum erneut zu befragen. Der Schaden wäre immens, viele Britinnen und Briten würden das als Verrat am Volk betrachten. Aber es wäre die einzig verbleibende Chance, das Chaos eines No Deal zu verhindern.

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