/Frauen in der Politik: Parität ohne Paritätsgesetz

Frauen in der Politik: Parität ohne Paritätsgesetz

Am 19. Januar 1919, bei der Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung, nahmen zum ersten Mal in Deutschland Frauen als Wählerinnen und Gewählte teil. Über 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab. 100 Jahre später erscheint das Erbe des Meilensteins ernüchternd: Noch nie saßen ähnlich viele Frauen wie Männer im Bundestag, weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Zur Bundestagswahl 2017 wurde das Parlament sogar so männlich wie
zuletzt 1994. Derzeit liegt der Frauenanteil bei rund 30 Prozent; vor
allem AfD, Union und FDP ziehen den Schnitt herunter mit einem
Frauenanteil von zehn bis 20 Prozent. “Gleichberechtigung kommt noch”, titelte das Berliner Gorki Theater pessimistisch und hoffnungsfroh zugleich anlässlich seiner Festveranstaltung zum 100. Geburtstag des deutschen Frauenwahlrechts.

Der Befund erneuerte die jahrzehntelangen Rufe nach Veränderung. Die neue CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer forderte schon in ihrer Zeit als Generalsekretärin, den Frauenanteil bei der geplanten
Wahlrechtsreform für den Bundestag zu diskutieren. Bundesjustizministerin Katarina Barley beklagte nach der Bundestagswahl 2017 ein “Meer von grauen Anzügen” und drängte auf eine Änderung des Wahlrechts nach französischem Vorbild. Dort gibt es ein Reißverschlussverfahren: Männer und Frauen wechseln sich auf den Kandidatenlisten der Parteien ab. Die Wirkung wurde immer wieder belächelt, da die meisten Parteien lieber Strafen zahlten, als Frauen aufzustellen. Doch Emmanuel Macrons Bewegung En Marche hielt die Paritätsvorgaben ein und siehe da, es geht: Seit ihrer Wahl liegt der Frauenanteil der Nationalversammlung mit 38,8 Prozent so hoch wie nie zuvor. 

Ein Vorbild für Deutschland?

Verfassungsrechtlich strittig

Der Widerstand gegen ein Paritätsgesetz ist wohl so alt wie die Vorstöße selbst. Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio, bekannt für seine konservative Linie, bezweifelte in einem Spiegel-Interview im Dezember 2018, “dass diese Idee mit unseren Wahlrechtsgrundsätzen und mit der Freiheit der Parteien vereinbar wäre”. Die Verfassung kenne nur eine Bezugsgröße für Wahlen, “nämlich das Volk”. Di Fabio hält jeden Versuch für bedenklich, das Wahlvolk in Gruppen zu teilen, die irgendwie gefördert oder gebremst werden sollten. Marco Buschmann, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, sagte: “Auch noble Ziele darf man nicht mit verfassungswidrigen Vorschlägen verfolgen. Das gilt erst recht für eine Bundesjustizministerin.”

Tatsächlich ist strittig, ob ein Paritätsgesetz ohne Weiteres umzusetzen wäre. Frankreich änderte für sein Loi sur la parité im Jahr 1999 die Verfassung. Dort steht nun: “Das Gesetz fördert den gleichen Zugang von Frauen und Männern zu den Wahlmandaten und auf einer Wahl beruhenden Ämtern.” Bei den Kommunalwahlen 2001 fand das französische Paritätsgesetz erstmals Anwendung. Ob eine Verfassungsänderung auch in Deutschland nötig ist, hängt nach der Einschätzung des Juristinnenbunds von dem Erfolg verfassungskonformer Maßnahmen ab.

Denn es gibt bereits gute Vorschläge für eine Parität ohne Paritätsgesetz. Der Juristinnenbund, ein gemeinnütziger Zusammenschluss von Juristinnen, schlägt vier sofort umsetzbare Maßnahmen vor. Sie betreffen insbesondere das Parteiengesetz und die Parteienfinanzierung.

Vier Vorschläge für Parität ohne Paritätsgesetz

In ihrem Forderungspapier heißt es, Parteien könnten sich zum Beispiel selbst verpflichten, mehr Frauen zur Wahl zu stellen – wie es etwa SPD, Grüne und Linke tun. Der derzeitig geringe Frauenanteil trotz geeigneter Bewerberinnen lasse sich weder durch Parteifreiheit noch durch Wahlrechtsgleichheit rechtfertigen.

Zweitens könnte Frauenförderung in den Parteisatzungen verankert werden. Der Juristinnenbund schlägt eine Ergänzung in Paragraf 6 Absatz 2 des Parteiengesetzes vor. Die Ergänzung würde alle Parteien verpflichten, in ihren Satzungen Maßnahmen zu nennen, wie Frauen bei der Aufstellung der Kandidaturen für politische Wahlen geeignet gefördert werden.

Drittens schlägt der Juristinnenbund finanzielle Förderungen für Parteien vor, deren Wahllisten zum Beispiel mehr als 35 Prozent Frauen enthalten und die ihnen auch gute Listenplätze geben, zum Beispiel per Reißverschlussverfahren.

Der vierte Vorschlag betrifft Parlamentsausschüsse. Der Juristinnenbund fordert eine Frauenquote von 40 Prozent für die Besetzung von parlamentarischen Ausschüssen und Unterausschüssen in den Geschäftsordnungen des Bundesparlaments und der Landesparlamente. Entsprechende Quotierungsvorgaben könnten durch Änderung der Geschäftsordnungen vorgenommen werden.

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