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Brexit-Abstimmung: Wo wollen sie hin?

Das britische Parlament berät über den Brexit-Vertrag. Wie sind die Positionen dazu und was passiert, wenn Theresa May die Abstimmung verliert?

Brexit-Abstimmung: Die britische Premierministerin Theresa May muss um die Zustimmung des Parlaments zu dem von ihr und der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag bangen.

Die britische Premierministerin Theresa May muss um die Zustimmung des Parlaments zu dem von ihr und der EU ausgehandelten Brexit-Vertrag bangen.
© Toby Melville/Reuters

Am 29. März 2019 wird Großbritannien offiziell aus der
Europäischen Union austreten. In langwierigen Verhandlungen haben sich die EU
und die britische Regierung auf ein Regelwerk für einen geordneten Brexit
geeinigt. Für diesen Austrittsvertrag braucht die britische Premierministerin
Theresa May bis zum 21. Januar die Zustimmung des Parlaments. Legt sie bis zu
diesem Datum keinen Vertrag zur Abstimmung vor, wird das Parlament ermächtigt,
den weiteren Ablauf maßgeblich zu beeinflussen
.

Kann Theresa May noch gewinnen?

Ob das Parlament dem von Premierministerin Theresa May und
der EU ausgehandelten Austrittsvertrag zustimmen wird, ist offen. Der
Widerstand innerhalb der Konservativen Partei und bei der nordirischen DUP,
auf deren zehn Stimmen Mays Minderheitsregierung angewiesen ist, ist groß. Der
geplante EU-Austritt hat die Regierung und das Parlament in London über alle
Parteigrenzen hinweg gespalten. May nutzt bisher, um
die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zu überzeugen, die Drohung, dass
Großbritannien Ende März im Zweifel ohne Abkommen aus der EU austreten muss.

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Wann stimmen die Abgeordneten ab?

Die Abgeordneten des britischen Unterhauses sollen am Abend
des 15. Januar über den Brexit-Plan von Theresa May abstimmen. Ursprünglich war das Votum über das Brexit-Abkommen für den 11. Dezember angesetzt. Die
Premierministerin hatte den Termin aber verschoben – mit der Begründung: “Das Abkommen wäre mit einer beträchtlichen
Mehrheit abgelehnt worden.” May ist es seither
nicht gelungen, der EU weitere Zugeständnisse abzuringen, sodass bei der
Abstimmung in London weiterhin mit hohem Widerstand im Parlament gerechnet
werden kann. Labour-Chef Jeremy Corbin kritisierte zuletzt, die Verschiebung habe “nichts erreicht, außer einen Monat zu verschwenden”.

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Was will Labour?

Der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn spekuliert auf eine
Neuwahl, sollte das Brexit-Abkommen scheitern. Die kann es aber nur geben, wenn
es der konservativen Partei nicht gelänge, nach einem möglichen Rücktritt von
May einen neuen Regierungschef oder eine neue Regierungschefin zu wählen, oder
wenn die Konservativen an einem Misstrauensvotum scheitern würden. Käme es dann
zur Neuwahl und käme eine Labour-Regierung an die Macht, will Corbyn versuchen,
einen besseren Brexit-Deal auszuhandeln. Corbyn selbst ist für einen Austritt
Großbritanniens aus dem EU-Binnenmarkt, wäre jedoch bereit, mit der EU in einer
Zollunion zu verbleiben.

Ein Großteil der Abgeordneten seiner Partei dürfte seinem
Aufruf folgen und gegen Mays Vertrag stimmen. Das gilt auch für die
pro-europäischen Labour-Abgeordneten. Einige wenige Parlamentarier der Partei
könnten versucht sein, für Mays Brexit-Abkommen zu stimmen. Entweder, weil sie
selbst vom EU-Ausstieg überzeugt sind oder weil sie in ihren Wahlkreisen eine
große Brexit-Wählerschaft haben.

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Was passiert, wenn das Parlament Mays Brexit-Plan ablehnt?

Am 29. März 2019 wird das Vereinigte Königreich die EU
verlassen, mit oder ohne Deal. Das ist gesetzlich festgelegt, May betont das immer wieder.

Am Mittwoch entschied das Parlament mehrheitlich, dass May
innerhalb von drei Tagen bereits einen neuen Plan präsentieren muss, wie sie
vorgehen möchte, wenn die Abgeordneten ihren Vertragsvorschlag ablehnen. Allen
alternativen Vorschlägen Mays müsste letztlich ebenfalls das Parlament
zustimmen.

Einen Aufschub der Frist für den Austritt Ende März 2019
kann es nur geben, wenn alle EU-Länder
dem zustimmen. Die EU hat bereits signalisiert, dass sie zu einer kurzfristigen
Verlängerung von wenigen Monaten bereit wäre, sollte das dem politischen Prozess
in London helfen. Eine längere Verzögerung lehnt die EU ab.

Sollte May mit ihrem Plan im Parlament scheitern, ist sie
zunächst weiter an der Macht. May könnte versucht sein, den Vertrag erneut zur
Abstimmung zu stellen. Vize-Premierminister David Lidington schloss wenige Tage
vor der Abstimmung jegliche Alternativen zum Brexit-Vertrag aus. “Die
Wahl, die die Leute haben, ist dieser Deal oder kein Deal, oder – wie es
manche Abgeordnete befürworten – das Referendum von 2016 komplett umzustoßen”,
sagte Lidington.

Die britische Regierungschefin könnte auch zu einer
Volksabstimmung über ihren Deal und das Szenario des No Deal aufrufen. Das
Parlament könnte dieser Volksabstimmung dann das Szenario eines Verbleibs in
der EU hinzufügen. Die Schwierigkeit derzeit im britischen Parlament ist: Es
gibt für keine Alternative eine offensichtliche Mehrheit im Parlament. Die
Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Austritt aus der EU ohne Abkommen kommt,
wäre daher hoch.

Flussdiagramm mit den möglichen Ausgängen der Brexit-Verhandlungen

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Was würde ein Austritt ohne Abkommen für Großbritannien bedeuten?

Im Falle eines ungeregelten Austritts drohen gravierende
Konsequenzen für Großbritannien und Teile der Wirtschaft in den
EU-Anrainerstaaten. Die Briten wären von einem Tag auf den anderen nicht mehr
Teil unzähliger Abkommen und Vereinbarungen. Vor allem stünden sie ohne
die Freihandelsabkommen da, die die EU für ihre Mitgliedsländer
abgeschlossen hat.

Der Handel würde nach den Regeln der Welthandelsorganisation
ablaufen müssen. Das bedeutet, dass die Außenzölle der EU gegenüber
Großbritannien als Drittstaat gelten würden. Gleichzeitig wären sofort Zoll-
und Grenzkontrollen fällig, vor allem in den Häfen wie Dover und Calais.

Sowohl die EU als auch Großbritannien haben allerdings
zahlreiche Vorkehrungen getroffen, um das Schlimmste zu vermeiden.
Großbritannien wird sofort einseitig und freiwillig zahlreiche EU-Regulierungen
einhalten, um weiterhin mit dem EU-Binnenmarkt handeln zu können. In wichtigen
Bereichen wie dem Flugverkehr und der Medizinversorgung bahnt sich eine Einigung mit der EU an.
Vertreter aus Politik und Wirtschaft warnen dennoch eindringlich vor einem
solchen Szenario. 

Unternehmen befürchten durch einen harten Brexit Einbußen, die zu Jobverlusten und weniger Steuereinnahmen führen dürften.
Schon jetzt löst der bevorstehende EU-Austritt große Unsicherheiten aus: Die
britische Automobilindustrie
etwa meldete für das Jahr 2018 den stärksten
Absatzrückgang seit der Finanzkrise. Seit der Brexit-Abstimmung hat sich das
Investitionsvolumen der Automobilindustrie im Großbritannien halbiert, da
zahlreiche Projekte wegen der Unsicherheit verschoben oder abgesagt wurden.

Die britische Regierung hatte angekündigt, verstärkt Vorbereitungen
für einen Brexit ohne Abkommen zu treffen. Am Dienstag hatte das Parlament
hingegen mehrheitlich beschlossen, dass der steuerliche Spielraum des britischen Finanzministeriums
für die Finanzierung der teuren Vorbereitungen auf einen No Deal beschränkt
wird. Damit hat das Parlament gezeigt, dass eine Mehrheit der Abgeordneten
gegen einen No Deal ist.

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Worauf haben sich May und die EU geeinigt?

Großbritannien und die EU haben sich auf einen rechtlich
bindenden Austrittsvertrag geeinigt, der eine Übergangsfrist bis 2021 vorsieht.
Währenddessen bleibt auf beiden Seiten zunächst einmal alles so, wie es ist.
Die Frist kann einmalig bis zu zwei Jahre verlängert werden. Diese maximal vier
Jahre sollen genutzt werden, damit Großbritannien und die EU ein
Handelsabkommen vereinbaren, das die dauerhafte Beziehung beider Seiten regelt.
In einer Erklärung, die aber nicht rechtlich bindend ist, haben sich beide
Parteien für dieses Abkommen ausgesprochen.

Nach Ende der Übergangsfrist soll eine Notlösung in Kraft
treten, der sogenannte Backstop, wenn bis dahin noch kein neues
Freihandelsabkommen steht – was sehr wahrscheinlich ist. Während des Backstop sollen Großbritannien und die EU einen
einheitlichen Zollverbund bilden, sodass es auf beiden Seiten keine Zölle,
keine Handelsquoten und keine Grenzkontrollen hinsichtlich der Herkunft der
Ware notwendig sind. Damit an der Grenze zwischen der Republik Irland und
Nordirland auch auf Qualitätskontrollen und Veterinärkontrollen verzichtet
werden kann, soll Nordirland entsprechende EU-Vorschriften weiter einhalten,
quasi also “Mitglied” des EU-Binnenmarktes für Güter bleiben. Vor allem die
nordirische DUP lehnt diese Regelung ab und machte den Backstop zum wichtigsten
Streitpunkt um den Brexit. 

Großbritannien sagt in dem Austrittsvertrag außerdem zu, für
finanzielle Pflichten aus der Zeit seiner EU-Mitgliedschaft einzustehen. Dabei
geht es um etwa 42 Milliarden Euro. Außerdem dürfen EU-Bürgerinnen und Bürger
in Großbritannien sowie Britinnen und Briten in der EU laut dem Vertrag dauerhaft
im jeweils anderen Land leben und arbeiten. Voraussetzung ist, dass sie
mindestens seit fünf Jahren im jeweiligen Land wohnen und eine dauerhafte
Aufenthaltsberechtigung beantragen.

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Was wollen die Brexit-Hardliner?

Die Brexit-Hardliner fordern die absolute Souveränität des
britischen Parlaments, lehnen also jegliche Kompromisse mit der EU ab. Sie
wollen keine “Gesetze aus Brüssel” akzeptieren, also weitgehende Freiheit von
EU-Regulierungen durchsetzen. Sie lehnen den Einfluss des Europäischen Gerichtshofs auf die Rechtsprechung in Großbritannien in EU-Fragen ab. Sie bestehen darauf, außerhalb der EU-Zollunion eigene Freihandelsabkommen
abschließen zu können.

Sie wollen die ersparten EU-Gelder im eigenen Land
investieren. Sie glauben, dass Großbritannien – ohne EU-Zölle – billiger
importieren kann und diese billigeren Produkte der Volkswirtschaft zugutekommen.
Sie haben allerdings keine Lösung für die irische Grenze und erklären ebenso wenig, wie die
britische Wirtschaft gegen Billigimporte aus Übersee konkurrieren soll.

Bereits im Dezember versuchten Brexit-Hardliner um den
Abgeordneten Jacob Rees-Mogg
, May mithilfe eines parteiinternen Misstrauensvotums
zu stürzen. Zwar gewann die Regierungschefin die Abstimmung, doch immerhin 117
Tories votierten gegen sie.

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Wie realistisch ist ein zweites Referendum?

Theresa May hat Rufen nach einer erneuten Volksabstimmung über
den Brexit
bisher immer eine Absage erteilt. Die Forderung danach kommt vor
allem von EU-freundlichen Abgeordneten, darunter ein großer Teil der
Labour-Fraktion wie auch Abgeordnete der Konservativen Partei, der
Liberaldemokraten, der Schottischen Nationalpartei und der Grünen. Aber auch
viele Linke, die dem Corbyn-freundlichen Labour-Flügel angehören, warten
darauf, dass der Vorsitzende seine Linie ändert und Labour endlich zur
Anti-Brexit-Partei macht. Corbyn selbst jedoch scheut ein zweites Referendum,
da er selbst für den Austritt aus der EU ist. Solange Corbyn seine Haltung nicht
ändert, ist ein zweites Referendum sehr unrealistisch.

Außerdem gibt es auch im Parlament keine Mehrheit für
ein zweites Referendum. Ein Großteil der Abgeordneten sowie der Bevölkerung
fürchtet, dass sich die Hälfte der Bevölkerung, die im Juni 2016 für den Brexit
gestimmt hatte, übergangen vorkäme. Der Vertrauensverlust in eine von
einer vermeintlich politischen Elite in London gesteuerte, abgehobene Politik wäre
gravierend, so die Befürchtungen. Die Spaltung von Parlament und Bevölkerung
könnte noch größer werden, als sie ohnehin schon ist.

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