/The Sopranos: Im Planschbecken der Männlichkeit

The Sopranos: Im Planschbecken der Männlichkeit

Die Frage, wie man solch einen Mann mögen kann, ist nun wirklich die am einfachsten zu beantwortende von allen, die einem angesichts von Typen wie Tony Soprano einfallen können.

Man muss zum Beispiel als Mann mittleren Alters bloß mit C.G. Jung und dessen Idee von der Struktur der Seele ans Ufer jenes Wassers gehen, in dessen Tiefen das (kollektive) Unterbewusste des Menschen an sich schlummern möge. Dann braucht man nicht mal ins finstere Nass hinabsteigen, sondern nur runtergucken auf die Wasseroberfläche, auf deren trübe Spiegelung: Tony Soprano, der mittlere Angestellte eines kriselnden mittelständischen Unternehmens namens italienisch-amerikanische Cosa Nostra, der depressive Vertreter einer sich selbst stets im Untergehen begriffenen Vorstellung von Männlichkeit, ist eine fabelhafte Projektion. Und dann steigt er für uns ins Wasser. Um ganz am Anfang der Serie mit einer Entenfamilie zu planschen, bis deren Mitglieder schön metaphorisch davonfliegen und alles Unheil seinen Lauf nimmt. Das beginnt selbstredend mit der Angst des Mannes vor dem Alleingelassenwerden und der Einsamkeit.

Auf Tony, den vorzüglichen Repräsentanten toxischer Männlichkeit im Fernsehen, lassen sich prima alle Ängste abladen, die man um sich selbst, die Welt und die eigene Rolle darin haben kann. Nicht trotz, sondern gerade, weil Tony binnen sechs Staffeln eigenhändig insgesamt acht Menschen umbrachte (sämtliche Opfer waren männlich) und seine Ehefrau Carmela mit insgesamt fünf Freundinnen seriell hinterging, ist er ein echter Sympathieträger geblieben. Bei ihm waren, zumal in den Augen männlicher Zuschauer, die eigenen Mord- und sonstigen düsteren Fantasien gut abgeladen: Nach einer Untersuchung des Statistikportals FiveThirtyEight haben Männer auf der Film- und Fernsehseite imdb.com The Sopranos die fünftbeste Bewertung aller Fernsehserien gegeben – bei Frauen taucht die Serie in der Liste der am besten bewerteten gar nicht auf. (Interessanterweise scheint Gewalttätigkeit aber keine hinreichende Bedingung für eine womöglich genderabhängige Popularität zu sein: Die superbrutale und mindestens streckenweise misogyne Serie Game of Thrones belegt bei Frauen wie Männern Platz eins.)

Wäre das also schon mal geklärt. Aber natürlich ist alles viel komplizierter.

Das Beste ist immer schon vorbei

Als Tony Soprano vor 20 Jahren, am 10. Januar 1999, das Licht der Fernsehwelt im amerikanischen Sender HBO erblickte, schien eigentlich nach ein paar Minuten der ersten Folge schon alles klar: Tony war ein Therapiefall. Da saß er in der Praxis der Psychologin Dr. Melfi (sein Hausarzt hatte ihn zu ihr geschickt wegen seines aktuellsten Blackouts, der ihn beim Grillen umhaute) und sprach: “Am Morgen des Tages, an dem mir übel wurde, habe ich nachgedacht. Es ist gut, wenn man was von Anfang an macht, und ich war dafür zu spät gekommen, ich weiß. Aber in letzter Zeit habe ich dauernd das Gefühl, dass ich ganz zum Schluss eingestiegen bin – dass das Beste schon vorbei ist.”

“Ich glaube, viele Amerikaner empfinden das ähnlich”, erwiderte Dr. Melfi. Die natürlich nicht wissen konnte, schon gar als fiktionale Figur, dass viele Amerikaner knapp zwei Jahrzehnte später scheinbar unter anderem aus dieser Empfindung heraus einen Immobilienentwickler aus Queens zu ihrem Präsidenten machen würden. Zum Zeitpunkt der Ausstrahlung dieser ersten Folge aber bekleidete Bill Clinton dieses Amt und erlebte gerade das am Ende scheiternde Amtsenthebungsverfahren gegen sich, das die Republikaner im US-Repräsentantenhaus letztlich mit dem Verweis auf Clintons Vertuschungen in Bezug auf seine außerehelichen Affären gestützt hatten. Ganz ähnlich wie bei Tony schien sich die Toxizität von Clintons Männlichkeit nicht etwa in konkreten physischen Taten (etwa häuslicher Gewalt) gegen die Mitglieder seiner Familie zu äußern, sondern darin, dass er sie letztlich zu Komplizen seines Tuns machte.

“Ich denke an meinen Vater”, fuhr Tony gegenüber Dr. Melfi in der ersten Therapiestunde fort. “Er hat nie den Erfolg gehabt wie ich. Aber in vielen Dingen hatte er es besser als ich. Er hatte seine Crew, und die hatte ihre Grundsätze. Wie einen Stolz. Wie sieht das heute aus?”

20 Jahre später hat sich an der Popularität dieser Klage nichts verändert. Für Typen wie Tony schien früher alles besser. Immer schon. Und das wird mutmaßlich auch immer so bleiben.

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