/Daniel Glattauer: Betrunken an der Pianobar

Daniel Glattauer: Betrunken an der Pianobar

Gibt es einen Daniel-Glattauer-Code? Eine Erklärung für eine beachtliche, schriftstellerische
Erfolgsgeschichte, die sich recht leicht durch einige Zahlen belegen lässt?
Inzwischen sind die Texte des 1960 in Wien geborenen Autors in mehr als 30
Sprachen übersetzt. Allein sein Erfolgswerk Gut gegen Nordwind (2006) fand mehr als 2,5 Millionen Leserinnen und Leser. Zugegeben, jener Text, der als einer der ersten mit
einer adäquaten Form des Schreibens auf das Zeitalter der Digitalisierung
reagierte, ist nicht frei von Kitsch, dafür umso innovativer. Deutlich
zeigt der Bestseller, dass Anspruch und guter Absatz, oft ein Gegensatz, bei Glattauer nicht im Widerspruch stehen. Ob mit Bilderbüchern,
Opernlibretti oder dem Werk Ewig Dein (2012), einer Mixtur
aus Thriller und psychologischem Roman, über einen Stalker – der Österreicher
betritt immer wieder unerforschtes Terrain. Die Mischung
aus milder Avantgarde, eingängiger Sprache und
Situationswitz sprechen stets unterschiedlichste Leser an.

Auch seine just erschienene
Komödie Vier Stern Stunden setzt gekonnt auf eine Mehrfachadressierung.
Als Lesedrama eignet es sich für verregnete Wintertage, als Theaterstück wird es bereits in Wien gezeigt und schon in Kürze am Berliner Renaissance-Theater zu sehen sein. Für Glattauer gilt eben eine Ausnahme: Selbst seine Drehbücher und Dramentexte verkaufen sich nach Angaben des Verlags hervorragend.

Der Schauplatz ist diesmal ein in die Jahre gekommenes Mittelklassehotel, in dem der
Weltautor Frederic Trömerbusch zu einer Abendplauderei vor einem erlesenen
60-plus-Publikum geladen ist. Zu aller Überraschung lässt der
Schriftsteller die Veranstaltung auf offener Bühne platzen. Wir begegnen einem zutiefst misanthropischen Menschen: “Ich will nicht verehrt werden. Ich hasse es, verehrt zu werden. Von irgendwem. Ich bin genug verehrt worden, von Menschen, die ich mir nicht ausgesucht habe. Sollen sie doch bitte meine Scheiß-Bücher lesen und mich mit ihrer Verehrung verschonen.” 

Spielerische Selbstreflexion

Geschuldet ist sein Missmut sowohl einer Betriebsmüdigkeit als auch den Launen seiner jungen Muse, die sich unmittelbar nach dem Eklat von ihm trennen wird. Immerhin lässt die tragisch klingende Chose noch ein gutes Ende erahnen. Sein
Missmut ist sowohl einer Betriebsmüdigkeit als auch den Launen seiner jungen Muse geschuldet,
die sich nach dem Eklat von ihm trennen wird. 

Immerhin lässt diese
tragisch klingende Geschichte noch ein gutes Ende erahnen. Nicht nur der Hotelchef
und die ehemalige Freundin des Protagonisten entdecken unversehens ihr
gegenseitiges Interesse aneinander. Auch der verlassene Schriftsteller findet Gefallen an
der von ihm während der vermaledeiten Lesung vorgeführten Moderatorin.
Die beiden, betrunken und verzweifelt in der Pianobar, leiten am Ende gar in eine
neue Geschichte über, die glücklicherweise offenbleibt.

Und so lotet Glattauers
erfreuliches Kabinettstück schließlich auf einer Metaebene das Potenzial des
Erzählens selbst aus. Es verbindet Menschen und ermöglicht ein Abschließen und
Neubeginnen, verhilft dazu, das Chaos der Welt besser zu ordnen, durch die
spielerische Selbstreflexion der Literatur. 

Liegt vielleicht in dieser Komposition aus Romanze und Künstlersatire eine Glattauersche Bestsellerformel begründet? Klar ist: Zum Kassenerfolg braucht es mehr als nur eine gute
Story, etwas Humor und überzeugende
Heldenfiguren. Vielmehr dürfte eine Balance aus Nähe zur Wirklichkeit des
Lesers und gleichzeitig einem vermeintlichen Einblick in unbekannte, manchmal
rätselhaft-faszinierende Bereiche von Relevanz für einen Erfolg mit
Breitenwirkung sein – zumal ganze Sparten und Subgattungen wie die
Science-Fiction, Fantasy, Historienromane, das riesige Crime-Segment sowohl auf
Wiedererkennungsfaktoren als auch das Fremde, logische Berechenbarkeit und
Überraschung setzen.

Auch Glattauer forciert
Spannungen und Ambivalenzen. So zeigt Vier Stern Stunden Figuren, deren
psychische Krisen wie Trömerbuschs Midlife-Crisis vielen Leserinnen vertraut sind,
während der Blick hinter die Fassaden eines vordergründig schillernden
Literatur- und Kulturbetriebs durchaus in einen Innenraum führt, der vielen
unbekannt ist. Der Mythos vom großen Intellektuellen und Genie
wird dabei munter dekonstruiert. Wenn Glattauer wie in fast all seinen Büchern
hinter die Masken vordergründig zufriedener Menschen schaut, tut sich dahinter
nichts anderes als das pure Leben in seiner Tragik und amüsanten
Absurdität auf. Am Ende mag es aber vielleicht gerade der
Rest an Geheimnis und Unerklärbarkeit sein, der Bestseller zu Bestsellern
macht.

Daniel Glattauer: Vier Stern
Stunden. Deuticke 2018. 112 Seiten, 16,00 Euro.

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