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Robert Habeck: Falsch, aber richtig

Kommen wir doch noch einmal kurz auf den eigentlichen Anlass des Rückzugs von Robert Habeck aus Twitter und Facebook zurück. Ich meine seinen so viel kritisierten Satz, wonach Thüringen ein freies und demokratisches Land werden soll. Dieser Satz ist nämlich in vielerlei Hinsicht zu interessant, um einfach so darüber hinwegzugehen.

Natürlich war dieses recht flapsige Statement ein Fehler. Natürlich sind solche Äußerungen über ein Bundesland, das seit fast 30 Jahren zur Bundesrepublik gehört und in dem die Grünen obendrein in der Regierung sitzen, realitätsfern und ziemlich überheblich.

Aber mich persönlich haben sie, anders als andere Ostdeutsche, nicht gekränkt. Im Gegenteil: Habecks Fehler ist für mich im Grunde genommen ein sympathischer Fehler. Ich würde sogar sagen: es war ein richtiger Fehler zur richtigen Zeit. Einer, der nicht nur den Grünen, sondern auch dem Land helfen kann. Denn das Superwahljahr Ost, es hat nun schon wenige Tage nach dem Jahreswechsel begonnen und zeigt sich in der Diskussion um den Habeck-Satz sogleich in all seinen komplexen Herausforderungen.

Mit Deutschen reden

Denn um kaum etwas anderes wird es im kommenden Jahr gehen: Ost und West müssen endlich wieder lernen, miteinander anstatt nur übereinander zu reden. Das gilt für Politiker eigentlich ebenso wie für Journalisten und Intellektuelle. In Wahrheit gilt es für uns alle. In den zurückliegenden Jahren sind zwischen Ost und West große und wahrnehmbare Schweigeräume entstanden, die sich vor allem auf ostdeutscher Seite wie ein großes Gefäß mit Wut, Ressentiments und Kränkungsgefühlen gefüllt haben.

Aber auch vielen Westdeutschen ist eine gewisse Genervtheit und Ungeduld anzumerken. Warum, scheinen manche sagen zu wollen, müssen wir uns eigentlich immer noch und immer wieder mit den Ossis und ihren offenbar nie enden wollenden Problemen beschäftigen? Warum sollen wir nun, wenn Katrin Göring-Eckardt fordert, künftig Institutionen des Bundes vorrangig im Osten anzusiedeln, immer noch weiter in einen Landstrich investieren, der sich mitunter wie ein Fass ohne Boden ausnimmt?

Auch, wenn es schwerfällt: Beide Sichtweisen sind falsch und richtig zugleich. Denn natürlich: Viele Ost- und Westdeutsche haben sich dieses wiedervereinigte Land einmal anders vorgestellt. Auch wenn es naiv klingt: Wir wollten ein glückliches Land werden, das vor allem in den Gemeinsamkeiten zueinanderfindet. Und nun haben wir auf höchst unterschiedliche Art und Weise große Mühe damit, uns von den alten Wunschträumen zu verabschieden und die Wirklichkeit, so wie sie ist, zu akzeptieren. Gemeinsamkeiten, aber auch zähe Unterschiede, führen in dieser Wirklichkeit einen erbitterten Krieg um die Deutungshoheit miteinander: Sind wir uns eher ähnlich oder sind wir eher verschieden?

Die Parteien: uneins oder ratlos

In dieser Frage sind sich die Parteien ebenso wie die Gesellschaft höchst uneins. Die CDU: Sie weicht einem neuerlichen innerdeutschen Diskurs eher aus und setzt wie der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer vor allem darauf, solide zu regieren, also die Infrastruktur zu stärken, mehr in Sicherheit, Bildung und Digitales zu investieren. Die AfD: Sie leitet die Unzufriedenheit der Menschen in andere Kanäle, schürt lieber Rassismus und die Wut aufs System, als sich den Problemen mit konstruktiven Lösungen zu nähern – schafft darin aber einen Anschluss an andere rechtspopulistische Bewegungen in Europa und führt ihre ostdeutschen Anhänger in gewisser Weise aus der Isolation heraus.

Die Linke: Sie ist zwischen diesen beiden Polen gespalten. Auf der einen Seite steht der pragmatische thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow, auf der anderen Seite die Populistin Sarah Wagenknecht. Die SPD: Sie hat mit Manuela Schwesig, der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Martin Dulig, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten von Sachsen, immerhin zwei Politiker, die schon seit Längerem selbstbewusst als Ostdeutsche auftreten. Allerdings überlässt die SPD das Sprechen über den Osten gern den Ostdeutschen. 

Die Grünen versuchen etwas

Und nun versuchen die Grünen eben etwas Neues. Sie setzen Ostdeutschland ziemlich selbstbewusst und offensiv auf ihre Agenda. Hier reden nicht nur die Ostdeutschen über den Osten, sondern nimmt die ganze Partei sich vor, den “Osten zu rocken”, wie Göring-Eckardt schrieb. Von Claudia Roth wurde schon nach Weihnachten ein ähnliches Video veröffentlicht. Darin forderte sie ihre Parteifreunde auf, “Wahlkampfurlaub im Osten” zu machen. Auch das war ziemlich flapsig, auch das rief schon eine, wenn auch nicht so laute, Kritik von einigen Ostdeutschen hervor.

Aber, wie gesagt, die Grünen weichen dem Thema nicht länger aus. Und in den kommenden Monaten wird sich zeigen, ob sie aus ihren Fehlern lernen können. Ob wir alle aus ihren Fehlern etwas lernen konnten.    

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