/“Aussprachehilfen”: Wahnsinn ist die letzte Rettung

“Aussprachehilfen”: Wahnsinn ist die letzte Rettung

Im Netz, dem
ewigen Neuland, gibt es einen beliebten Witz. Es ist ein alter Witz, denn das
Neuland ist ja schon ziemlich alt. Er lautet: “Ich drucke jetzt das Internet
aus.” Er eignet sich hervorragend als Abschiedsformel für jede Gelegenheit:
“Tschüss, ich muss noch das Internet ausdrucken.”

Natürlich
funktioniert dieser Witz unter anderem über seinen Fatalismus. Er markiert eine
doppelte Kapitulation, die vor den unendlichen, unausdruckbaren Weiten des
Datenraums, und die vor den Beharrungskräften der Menschen, die nur das für
echt halten, was man ihnen via Holzmedien präsentiert.

Der Frohmann
Verlag, ein Ein-Frau-Unternehmen, hat mit “genuin digitaler Literatur”
angefangen, für den E-Book-Reader, tintenfrei, druckt inzwischen aber auch aus.
Man muss offenbar immer hin- und hertrampeln über die Grenzen zwischen den
Medien, zu Fuß aus der Körperlosigkeit in die Holzfäller- und Papiermühlenwelt
und wieder zurück, es geht nicht anders.

"Aussprachehilfen": Der Autor Gabriel Yoran

Der Autor Gabriel Yoran
© Martin Gommel

Aussprachehilfen
von Gabriel Yoran hat 104 Seiten. Das Buch versammelt
Witze aus dem Internet auf Papier. Wenn man
Frohmann-Bücher in einer Berliner Buchhandlung bestellt, sind sie gleich da,
weil die Verlegerin sie schnell bringt, wie damals nach dem Krieg, als man ja
auch alles selber machen musste: Es stürmt und schneit, und Frau Frohmann packt
ihren Rucksack und bringt das ausgedruckte Internet vorbei.

“Vorher zu Rewe, Mirabellen klauen”

Der Untertitel
des Buches lautet “Alle flippen völlig aus”. Witze im Internet (hier: in der
Internet-Unterabteilung “Twitter”) funktionieren oft über die Wiederholung, die
leichte Abwandlung einer Spielvorlage. Hier geht es um ein Spiel mit Sprache
und Aussprache, mit Ton- und Bedeutungsverschiebungen. Und jedes Mal flippen alle
völlig aus, ad infinitum, wobei das Ganze begrifflich auf wenigen Zeilen so
verdichtet wird, dass der Wahnsinn die einzige Rettung scheint. Eine
Veränderung der Aussprache löst bei Yoran unkontrollierbare
Verhaltensänderungen aus:

“Cyborg künftig nur noch Kybermensch aussprechen.
Alle flippen völlig aus, channeln Nietzsche, wollen zur Macht, gehen vorher zu
Rewe, Mirabellen klauen.” Oder: “Ampere nur noch wie Tampere aussprechen.
Alle drehen völlig durch, aber als Drehstromgeneratoren, beten vorm Umspannwerk,
finden’s spannend.”

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