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Rechtsextremismus: Tatwaffe Auto

Seit seiner Gründung benutzt der sogenannte “Islamische Staat” Autos als Mordwaffe. Die Anschläge haben das öffentliche Bild der Terrormiliz geprägt. Doch Attacken mit Fahrzeugen haben nicht immer einen
islamistischen Hintergrund. 

In dieser Woche steuerte ein Autofahrer in Bottrop und Essen seinen Wagen mehrfach auf ausländisch aussehende Passanten, verletzte einige schwer und äußerte sich nach seiner Festnahme mehrfach rassistisch. Auch wenn noch unklar ist, inwieweit seine Schuldfähigkeit durch eine psychische Erkrankung beeinflusst sein könnte und der Täter offenbar nicht aktives Mitglied der rechtsextremen Szene war: Es wäre nicht das erste Mal, dass Rassisten sich dieser Form der Gewalt bedienen.

Bereits seit 1985 sind Fälle
dokumentiert, bei denen Rassisten und Rechtsextreme in Deutschland Fahrzeuge für
Angriffe auf vermeintliche Ausländer, politische Gegner und linke Fußballfans
benutzt haben.

Eines der ersten Opfer einer Autoattacken war Ramazan Avcı, 26
Jahre alt. Kurz vor Weihnachten 1985, am 21.12., werden der türkischstämmige Mann und
seine Begleiter von Neonazis aus einer Hamburger Kneipe heraus angegriffen und mit Flaschen beworfen. Wenig später verfolgen die Neonazis Avcı mit ihrem Auto, fahren ihn an, sodass der junge Mann unter dem Auto eingeklemmt wird. Die Täter prügeln weiter auf ihn ein. Drei Tage später, am 24. Dezember, stirbt Avcı im Krankenhaus. Die Täter waren polizeibekannt.

Sieben Jahre später, am 27. Dezember 1992, stirbt Şahin Çalışır nach einem Neonaziangriff. Çalışır und zwei andere türkischstämmige Männer werden von dem rechtsextremen Hooligan Klaus E. auf der A57 bei Meerbusch (NRW) verfolgt. Der Beifahrer von E. ist damals als Ordner für die rechtsextreme Deutsche Liga für Volk und Heimat tätig.
Die Rechtsextremen rammen das Auto ihrer Opfer. Der 20-jährige Çalışır und seine Freunde retten sich aus ihrem Fahrzeug, doch die Neonazis lassen nicht von ihnen ab. Çalışır wird von einem vorbeifahrenden Fahrzeug erfasst und stirbt an seinen Verletzungen. Später wurde vom Gericht in Neuss kein rassistisches Motiv für die Verfolgung erkannt, Klaus E. wurde zu 15 Monaten Haft verurteilt.

Am 26. Mai 1993 folgt eine weitere Autoattacke: Auf der Autobahn von Dresden nach Berlin stirbt der deutsch-ägyptische Schauspieler Jeff Dominiak. Nachdem ein 17-jähriger Neonazi den DDR-Jugendfilmstar zwei mal mit einem gestohlenen Pkw rammt, hält Dominiak mit seinem Motorrad auf der Raststätte Waldeck. Dort überfährt ihn der angetrunkene Neonazi. Der Angreifer wird in einem Jugendprozess zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Offiziell gilt Jeff Dominiak nicht als Opfer rechter Gewalt, weil die Gerichtsakten bei einer nachträglichen Prüfung durch das Moses Mendelssohn Zentrum nicht mehr verfügbar waren. Das Zentrum war beauftragt worden, nachträglich mögliche rassistische Motive bei Straftaten zu überprüfen. Bei Jugendprozessen werden die Akten aber nach einer Aufbewahrungsfrist gelöscht.

In Schrittgeschwindigkeit in Fußgänger gefahren

Nicht nur vermeintliche Ausländer geraten in das Visier von Neonazis. Am 4. Oktober 2009 werden Fans des
Fußballvereins BSG Chemie Leipzig von rechten Hooligans des Konkurrenzvereins Lok Leipzig angegriffen
. Die bewaffneten Neonazis aus dem Umfeld der NPD und Freie Kräfte schlagen zuerst mit Knüppeln und Eisenstangen auf ihre Opfer ein. Dann rast ein Neonazi mit seinem Pkw auf einen Chemie-Fan zu, fährt ihn an. Der Fußballfan wird durch die Luft geschleudert, muss im Krankenhaus notoperiert werden. Die Täter flüchten in ihren Autos. Die Rivalität zwischen Lok Leipzig und BSG Chemnie basiert auf einem jahrelang schwelenden politischen Konflikt – Chemie Leipzig setzt sich gegen Rassismus ein, während Lok Leipzig mit einer in Teilen rechtsextremen Fanszene zu kämpfen hat.

“So ‘ne Zecke greift an und du ziehst’n Messer. Die Flachzange
klappt zusammen und rührt sich nicht mehr”, schreibt der ehemalige NPD-Politiker Florian S. laut einem Bericht des Spiegels auf Facebook. Nur wenige Tage nach dem Eintrag, am 01. Oktober 2011, wird seine Gewaltphantasie Realität – statt eines Messers ist die Waffe ein Auto. Florian S. soll andere Rechtsextreme zu einer Veranstaltung seiner Kameradschaft lotsen, er wartet auf einem Parkplatz nahe Freiburg. Linke Gruppen haben von der Veranstaltung erfahren, sehen S. bei seinem Fahrzeug stehen. Der springt in seinen Wagen und fährt in die Gruppe. Alex K. wird über das Autodach geschleudert und mit Hirnblutungen ins Krankenhaus eingeliefert, insgesamt werden drei Personen verletzt. Das Gericht teilte während des Prozesses mit, dass Florian S. auch einfach hätte vorbeifahren können. Weil Notwehr aber nicht ausgeschlossen werden konnte, wurde S. freigesprochen. In seinem Facebook-Eintrag hatte der Neonazi noch geschrieben: “Das Schöne daran, es wäre sogar
Notwehr”

Am 07. Januar 2012 kommt es im baden-württembergischen Haigerloch-Trillfingen zu einem weiteren Angriff. Bei einer Fastnachtfeier provozieren sieben Neonazis junge Festbesucher, es folgt eine Rangelei. Danach steigen zwei der Rechtsextremen, ein
22-Jähriger und dessen 20 Jahre alte Freundin in ein Auto, geben Gas und fahren in die Gruppe der Festbesucher. Der Wagen fuhr laut Gericht mit Schrittgeschwindigkeit gegen drei junge Männer. Laut Polizeibericht tragen die drei Opfer Quetschungen, Risswunden und Prellungen davon. Damit ist die Attacke der Neonazis nicht beendet. Wenig später soll der Fahrer zum Tatort zurückgekommen sein, um sich weiter an der Schlägerei zu beteiligen. Er wird später zu einem Jahr und drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Neben den geschilderten Fällen gibt es weitere, bei denen Menschen von Rassisten mit Autos verletzt oder getötet wurden. So fuhr im Jahr 2017 in der US-Stadt Charlottesville ein zwanzigjähriger Rechtsextremer in eine Gruppe von Demonstrantinnen und Demonstranten, die gegen einen gemeinsamen Aufmarsch von Alt-Right-Bewegung, Ku-Klux-Klan und Neonazis protestierten. Brian M. tötete eine 32-Jährige, verletzte 19 weitere Menschen. US-Justizminister Jeff Sessions wertete den Angriff als Terrorakt.

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