/“Der Kadaverräumer”: Versehrte Gespenster

“Der Kadaverräumer”: Versehrte Gespenster

Tage- und nächtelang irrt der namenlose Protagonist in
Zoltán Danyis Debütroman Der Kadaverräumer durch die Straßen Berlins. Er kann
nicht schlafen, er leidet an nervösen Magenbeschwerden und Koliken, seine Beine
zittern – oder ist es die Erde? Er landet in einem Open-Air-Kino, in dem das Antikriegsepos Die durch die
Hölle gehen
gezeigt wird. Zumindest glaubt er das; sein Gedächtnis ist alles
andere als verlässlich. Die Erwähnung jedenfalls erscheint wichtig: Ende der Siebzigerjahre trug Michael Ciminos Drama über das Schicksal zweier
Vietnamkriegsveteranen dazu bei, die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) als Krankheitsbild anzuerkennen.

Dass Danyis Protagonist an den Symptomen einer PTBS leidet,
ist auch ohne explizite Diagnose offenkundig. Schreckliches hat sich in seinem
Körper eingenistet, ahnt man, zu furchtbar, um es in Worte zu fassen. Was ihn
jedoch nicht daran hindert, ununterbrochen zu reden. Strukturiert wird sein
Redeschwall einzig von Einschüben wie “sagte er zum Pfleger” oder “sagte er zum
Clochard” – wobei einem nach und nach aufgeht, dass weder der eine noch der
andere seine Sprache verstehen, Ersterer meist gar nicht im Raum ist und Letzterer auf einer Parkbank schläft. Manisch monologisierend versucht er das
Unfassbare fassbar zu machen und zugleich von sich fernzuhalten. So schält
sich erst allmählich, in Fetzen und Andeutungen, seine Vorgeschichte aus dem
wilde Haken schlagenden Bewusstseinsstrom.

Genau wie Danyi wird der Erzähler als Angehöriger der
ungarischen Minderheit in Jugoslawien geboren und befindet sich, als das Land
zerfällt, im wehrpflichtigen Alter. “Obwohl er eigentlich nicht viel zu tun
hatte mit dem Ganzen”, erst recht nicht mit der “großen serbischen Wahrheit”,
wird er eingezogen. All das ist mehr als 20 Jahre her, und doch lassen ihn
“jene alles verwüstenden, alles ausbeinenden Jahre” bis heute nicht los.

Treffende literarische Entsprechungen

Ein Thema, das Zoltán Danyi (Jahrgang 1972)
beschäftigt. In seiner Heimat war Danyi bislang vor allem als Lyriker
bekannt. Welche Versehrungen
der Balkankrieg in den Köpfen und Körpern der Menschen hinterlassen hat und
wie man diese Verletzungen auch formal transportieren kann – dies sind die
Fragen, die ihn in seinen literarischen Werken umtreiben. “Trauma, das ist die
Unmöglichkeit der Narration”, heißt es in Aleida Assmanns Habilitationsschrift Erinnerungsräume. Die traumatische Erfahrung, schreibt Assmann, durchbreche chronologische Ordnungen, entziehe sich
der deutenden Verarbeitung und damit auch der Versprachlichung.
Wie also vom Trauma erzählen?

Danyi geht nicht so weit, die Sprache bis zur Unlesbarkeit
zu fragmentieren. Er findet andere ebenso treffende literarische
Entsprechungen für die Unmöglichkeit der Narration. So etwa die pointierte
Analogie, die sich refrainartig durch den Roman zieht: Ständig befindet sich der
Erzähler auf der Suche nach dem perfekten Schreibheft, doch wenn er endlich
eines findet, schreibt er ein, zwei Sätze hinein – ausufernde und wurmartige
Sätze, die genau wie im Roman selbst mehrere Seiten füllen – und wirft
es dann weg. Kaum meint er den traumatischen Kern eingekreist zu haben, wird er
von einer unerklärlichen Kraft in eine der äußeren Umlaufbahnen zurückgeschleudert.   

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