/“Unser großes Album elektrischer Tage”: Ein Wir sucht sie

“Unser großes Album elektrischer Tage”: Ein Wir sucht sie

Johanna Maxls Debüt Unser großes Album elektrischer Tage zu lesen, ist, wie mit der Dunkelachterbahn zu fahren. Man versteht nicht richtig, wo man gerade ist, wie lange die Fahrt noch dauert und ob man das Schlimmste schon überstanden hat. Man ahnt nur, dass es einen gleich wieder aus der nächsten Kurve trägt.

Maxl, Jahrgang 1987 und Absolventin des Leipziger Literaturinstituts, geht es in ihrem Buch nur nebenbei um den Inhalt. Im Zentrum steht die Sprache selbst, nicht das, was sie ausdrückt. In der düsteren Welt, die Maxl zeichnet, geht es ziemlich durcheinander zu. Und alles nur wegen Johanna, sie ist verschwunden. Auf 200 Seiten sucht ein kollektives Wir zweifelnd, wütend, nostalgisch nach ihr. Näher definiert wird der Chor nicht. Vielleicht sind es Gespenster, vielleicht Kinder, vielleicht ist es nur Sprache.

Der Roman springt widerspenstig zwischen Ort und Zeit. Er missachtet erzählerische Stringenz. Die Figur der Johanna bricht in den chorischen Vermisstenanzeigen vom Liebevollen ins Brutale. Mal sitzt sie als fürsorgliche Mutter am Küchentisch und hört mit dem personifizierten 21. Jahrhundert Popsongs von Lana del Rey. Dann will sie ein paar Seiten später lieber Katzen im Park anzünden. Maxl sprengt die Konvention, linear und logisch zu erzählen. Zu diesem chaotischen Haufen voller Bilder, der sich keiner übergreifenden Erzählung fügen will, passt es, dass das Buch sich titelgebend als Album tarnt. Tatsächlich nimmt es nichts, mal in der Mitte, mal vom Ende her zu lesen. Man wäre nicht schlauer.

Brennende Tiere und Punkbands

Maxl schreibt von brennenden Tieren, die entweder zum Streicheln oder zum Zigarettenanzünden da sind, hüpft zum Gender-Pay-Gap und bedauert, dass das generische Femininum noch nicht ausgerufen wurde. Frauen malen sich aus Modegründen “mit Kajal oder Kakao” Bärte ins Gesicht, tragen Tattoos oder Glitzersteine. Manche lassen sich LED-Lampen als Zähne einsetzen. In Küchen dröhnt die Riot-Grrrl-Punkband Bikini Kill ein paar Zeilen Songtext: “Rebel Girl! Rebel
Girl! Rebel Girl, you’re the queen of my world!
” Die Elternfiguren in Kinderbüchern sind hier “allesamt gewalttätig, kriminell oder arm (…), Geschiedene, Angestellte, Kunstschaffende, Uralte, Autonome, Freaks”. Väter und Mütter lassen ihre Kinder im Schlafanzug an der Türschwelle
zurück, denen nichts einfällt, außer “Fuck, Fuck, Fuck” zu rufen.

Weil Johanna in ominöse Slums des 21. Jahrhunderts abgewandert ist, meißeln die Stimmen wie verzweifelte Verliebte jede noch so banale Erinnerung in Sprache. Selbstvorwürfe wie “Wir gehen an einer Telefonzelle vorbei,
wir hören, wie die Stimme des Menschen in ihr sagt: Ich
muss aufhören, mein Messer ist stumpf. Und wir kennen
das. Unsere Messer sind nicht scharf genug, um Platz zu
machen, um eine Leere zu schaffen” münden in verworrene Erkenntnisse, zum Beispiel: “Das Einzige, was Johanna entfernen kann von diesen Orten in uns, ist jenes, das sie auch ersetzen kann. Nach ihm müssten wir uns auf die Suche machen! Wieder ist es Winter. Wir lieben den
Schnee und können seiner nie müde werden.” 

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