/„Böllern innerhalb des S-Bahn-Rings verbieten“

„Böllern innerhalb des S-Bahn-Rings verbieten“

Frau Kapek, haben Sie Silvester mit Böllern und Raketen gefeiert?

Keine Raketen, keine Böller, dafür Wachsgießen, eine Wunderkerze und ein bisschen Konfetti. Und ich habe einen Glücksbambus verschenkt.

Gehört in diesem toleranten Berlin diese Böllerei wirklich zur Feierkultur?

Diejenigen, die als Kinder schon geböllert haben, glauben offenbar auch, dass sie das als Erwachsene tun müssen. Ich hatte schon immer Angst vor Böllern und bin viele Jahre wie andere Berliner vor Silvester aus der Stadt geflüchtet. Seit zwei Jahren feiere ich wieder hier. Es wird zwar weniger geböllert, aber ich finde es trotzdem gruselig.

Ganze Straßenzüge schauen aus wie Kreuzberg nach Straßenkämpfen in den 80er Jahren.

Als Teenager habe ich mich weinend in einem Hauseingang versteckt, weil ich Angst vor den herumfliegenden Böllern hatte. Als ich selbst Kinder bekam, fand ich die Vorstellung, dass so ein Böller in den Kinderwagen fliegt, so furchtbar, dass meine Familie und ich die Stadt über Silvester verlassen haben.

Warum tut sich Berlin so schwer damit, gegen Böllerei und das Abbrennen von Feuerwerkskörpern vorzugehen?

Rechtlich ist das nicht schwierig. Politisch gibt es Diskussionen. Das Auto, das Fleisch und der Böller gehören für einige zum Freiheitsbegriff. Wenn man da ran will, reagieren viele empfindlich. Die Sicherheit und ein friedliches Miteinander müssen oberstes Ziel sein. Wir brauchen mindestens Zonen, in denen auf Böllerei verzichtet werden muss. Ich selbst wohne am Görlitzer Park mit dem Kinderbauernhof. Mehrfach bin ich in der Silvesternacht wegen heftiger Detonationen draußen aufgewacht. Was ist eigentlich mit den Tieren dort? Ich frage mich, wie die die Lautstärke überstehen.

Verbote gibt es in Paris, Göttingen, auf Sylt, in Düsseldorf, Straubing, in historischen Zentren. Und in Tübingen und Quedlinburg sind Knaller streng verboten.

Auch in Hannover gibt es ein Böllerverbot in der gesamten Innenstadt. Die Einsatzkräfte betonten, es sei zu weniger Zwischenfällen gekommen als zuvor. Und 60 Prozent der deutschen Bevölkerung fordern Feuerwerksverbote. Ein Böllerverbot heißt ja nicht, dass man nicht mehr Silvester feiern darf. Man kann in kontrollierten Zonen Raketen zünden.

Fordern Sie böllerfreie Zonen oder ein Verbot von privaten Feuerwerken in Berlin?

Ich schlage zwei bis drei zentrale Feuerwerke vor. Innerhalb des S-Bahn-Rings werden das Böllern und das Abschießen von gefährlichem Feuerwerk untersagt. Über die Klassifizierungen muss gesprochen werden. Wir müssen auch über einen Verkaufsstopp diskutieren. Das Bundesinnenministerium könnte einen Verkauf bestimmter Feuerwerkskörper nur noch am 31. Dezember zulassen, und zwar nur noch in Fachgeschäften.

Was kann das Land regeln?

Es gibt einen parlamentarischen Antrag der rot-rot-grünen Koalition, die Knallerei einzuschränken. Darüber diskutieren wir gerade. Ein Böllerverbot über die Bezirke ist nicht weitgehend genug. Wir brauchen eine landeseigene Regelung. Laut Paragraf 24, Absatz 2 der Sprengstoffverordnung können Behörden genau regeln, wann, wo und ob Pyrotechnik abgebrannt werden darf. Nach Auswertung der Vorkommnisse an Silvester 2018 sollten als erster Schritt Zonen auch dort ausgewiesen werden, wo es viele Übergriffe auf Rettungskräfte gab.

Die Aggressivität gegenüber Helfern war Silvester unverändert. 49 Übergriffe, darunter 33 mit Pyrotechnik, gab es in diesem Jahr. Wie soll man darauf reagieren?

Das Verbot von Pyrotechnik wird zu einer enormen Befriedung führen. Das zeigen Städte wie Hannover. Der Angriff mit Feuerwerkskörpern auf Menschen ist ein Straftatbestand. Solche Attacken verurteile ich auf das Schärfste. Die Grenze des friedlichen Feierns ist damit weit überschritten. Wenn wir bürgerkriegsähnliche Situationen auf den Straßen haben, brauchen wir ein Verbot von bestimmter Pyrotechnik. Wir haben für dieses Jahr den guten Vorsatz, dass nächstes Silvester ein sicheres und friedliches wird.

Antje Kapek (42) ist seit 2012 Fraktionschefin der Berliner Grünen. Sie lebt mit ihrer Familie in Kreuzberg. Viele Jahre flüchtete sie wegen ihrer Angst vor Böllern zu Silvester aus Berlin.

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