/Giuseppe Conte: “Merkel kann man vertrauen”

Giuseppe Conte: “Merkel kann man vertrauen”

DIE ZEIT:
Erlauben Sie mir, bevor wir über die ganz große Politik reden, einen Ruf aus der
italienischen Basis in Hamburg?

Giuseppe Conte:
Bitte!

ZEIT:
Es sind nicht viele Italiener, die dort leben, knapp 7000. Als ich einigen erzählte, dass
ich Sie interviewen würde, meinten sie sofort: Sag ihm doch bitte, wir sind das einzige Volk
in ganz Europa, das noch mit Personalausweisen aus Papier herumläuft, auf denen obendrein
alles nur auf Italienisch steht. Wenn wir auf die Ämter gehen, auf die Post – dann verstehen
die dort gar nichts! Wollen Sie diesen Leuten etwas sagen?

Conte:
Die Gemeinden arbeiten an der Chipkarte. Sobald die erforderlichen Mittel vorhanden sind,
werden sie sich darum kümmern. Auch die Botschaften werden damit ausgestattet. Eines unserer
wichtigsten Reformprojekte ist die Digitalisierung der öffentlichen
Verwaltungsdienststellen. Wir sind dabei, das Land zu reformieren.

ZEIT:
Kaum zu glauben!

Conte:
Wir reformieren das Land. Wie schön!
Che bello!

ZEIT:
Ist es so schön, das Land zu reformieren?

Conte:
Es ist eine der größten Ehren, die einem Bürger zuteilwerden können: seinem Land zu dienen,
indem man einen umfassenden Reformplan erarbeitet. Ich hoffe, so zu arbeiten, dass alle
Italiener stolz sein können, auch jene, die im Ausland leben!

ZEIT:
Die
Süddeutsche Zeitung
hat gerade einen Artikel über Sie veröffentlicht mit dem
Titel “Ein Phantom bekommt Kontur”. Darin hieß es, Sie hätten sich von Ihren Ministern
Matteo Salvini und Luigi Di Maio emanzipiert und den Haushaltsstreit mit der EU mit “Charme
und etwas Vernunft” gekittet. Gefällt Ihnen das?

Conte:
Natürlich freut mich so ein Beitrag. Aber so, wie ich mich nicht habe bedrücken lassen,
wenn die Beiträge unangenehm waren, so überschlage ich mich jetzt nicht vor Freude, wenn sie
angenehm sind.

ZEIT:
Es ist neu, dass das internationale Echo so positiv ausfällt. Was war in den vergangenen
Wochen schwieriger für Sie: die Verhandlungen mit Brüssel oder die mit den beiden
italienischen Regierungsparteien?

Conte:
Die mit Brüssel.

ZEIT:
Warum? Die Gesprächspartner in Brüssel waren gegenüber Italien doch recht wohlwollend.

Conte:
Sie waren wohlwollend, aber zunächst auch sehr festgelegt in ihrem negativen Urteil über
unseren Haushaltsentwurf. Zu Beginn der Verhandlungen hatten wir scharfen Gegenwind,
wirklich scharfen Gegenwind.

ZEIT:
Was war das größte Problem?

Conte:
Am schwierigsten war der Anfang, als es darum ging, einen extrem starren Standpunkt zu
erschüttern und aus den Angeln zu heben. Aber Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker
erwies sich als ein Mann, der Wort hält: Er eröffnete mir Wege, die es mir erlaubten, die
Verhandlungen überhaupt in Angriff zu nehmen, und ich habe sie dann mit großer
Hartnäckigkeit und Bestimmtheit vorangetrieben, auch in den schwierigen Momenten, von denen
es viele gab.

ZEIT:
Ist Ihnen aufgefallen, dass aus Deutschland in dieser Zeit kein einziger kritischer oder
feindseliger Einwand zu hören war?

Conte:
Ich habe den Führungsstil von Kanzlerin Merkel sehr zu schätzen gewusst. Sie hatte mir im
Vorfeld versichert, dass sie die Verhandlungen so laufen lassen würde, wie es den Regeln der
EU und insbesondere der Kommission entspricht, sie wolle nicht eingreifen; und sie sagte,
sie wäre glücklich, wenn es zu einem Kompromiss käme.

ZEIT:
Auch Bundesfinanzminister Scholz hat sich sehr zurückgehalten.

Conte:
Absolut! Ich kann nur Positives über Deutschland und die deutsche Regierung sagen: Sie
pflegt einen Verhandlungsstil, den ich sehr schätze.

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