/Warum die Norddeutschen so sehr auf Kohlfahrten stehen

Warum die Norddeutschen so sehr auf Kohlfahrten stehen

Wer, so wie ich, im Bremer Umland aufgewachsen ist, für die*den sind Kohlfahrten ungefähr so selbstverständlich wie Weihnachten. Oder Geburtstage. Als ich erfuhr, dass diese Tradition gar nicht deutschlandweit (nicht mal in ganz Norddeutschland!) praktiziert wird, war ich überrascht. Dabei hängt das auch mit der Geschichte des Grünkohls zusammen:

Denn Grünkohl ist ein Gemüse, das typisch für den Bremer, Oldenburger und friesischen Raum ist. Vorläufer der heutigen Kohlfahrten waren im 19. Jahrhundert die Pferdegespanne reicher Kaufleute oder Adliger aus Bremen und Oldenburg, die sich jedes Jahr nach dem ersten Frost auf den Weg in die Landgasthäuser im Umland machten, um dort Grünkohl zu essen. Grünkohl, manchmal auch Braunkohl genannt, war damals das einzige Wintergemüse, das in der kargen Landschaft wachsen konnte. Erst mit dem Frost entwickelt es seinen vollen Geschmack. Deshalb finden Kohlfahrten immer im Winter statt.

Heute ist aus dem Pferdegespann ein Bollerwagen und aus den reichen Kaufleuten Gruppen von Freund*innen, Kolleg*innen oder Vereinen geworden, die einmal im Jahr zu Fuß zu einem Gasthaus ihrer Wahl marschieren. Als erste Kohlfahrts-Gruppe dieser Art gelten übrigens Sportler*innen des Oldenburger Turnverbandes. Viele Firmen im Bremer und Oldenburger Raum veranstalten Kohlfahrten als oder anstelle von Weihnachtsfeiern. Die meisten Kohlfahrten finden aber zwischen Januar und März statt. Als Saisonende gilt der Gründonnerstag.

König*in, wer am meisten essen konnte

In den Gasthäusern wird Grünkohl mit Kartoffeln, Kassler, Kochwurst und Pinkel serviert. Pinkel ist eine Grüzwurst, die fast ausschließlich in Verbindung mit Grünkohl gegessen und häufig auch zusammen mit dem Grünkohl eingekocht wird. Deshalb werden Kohlfahrten manchmal auch Kohl-und-Pinkel-Touren genannt.

Seit einigen Jahren bieten die Gasthäuser auch Ausweichgerichte an – zum Beispiel für Menschen, die kein Fleisch essen oder das Gericht einfach nicht mögen. Wer am meisten essen konnte, wurde früher zum*r Kohlkönig*in erklärt. Heute wird das König*innenpaar meist per Zufallsprinzip gewählt – die neuen König*innen finden dann beispielsweise einen Zettel unter ihrem Stuhl. Sie sind dann gleichzeitig auch für die Organisation der Kohlfahrt im nächsten Jahr zuständig.

Kohlkönig*innen erhalten selbstverständlich eine Krone. Traditionell ist das der Unterkiefer eines Schweins, der als Kette getragen wird (ja, echt) und auf dem die Namen der bisherigen König*innen geschrieben stehen.

Keine (nord)deutsche Feier ohne Schnaps

Schon den Kaufleuten wurde damals nach dem Essen mindestens ein Kräuterschnaps serviert, um das fettige Gericht besser verdauen zu können. Und weil das die Stimmung erheblich verbesserte und Alkohol ja auch irgendwie zur deutschen Kultur dazugehört, machen wir uns nichts vor, fingen die Menschen also irgendwann an, einfach schon vor dem Essen zu trinken. In den Bollerwägen der Kohlfahrer*innen finden sich verschiedene Sorten Schnaps, der aus kleinen Gläsern, die die Kohlfahrer*innen um den Hals tragen, getrunken wird. Und Bier. Viel Bier.

Über die Jahre hat es sich eingebürgert, dem Spaziergang zum Gasthaus einen sportlichen oder spielerischen Aspekt zu verleihen. Boßeln, ein Spiel, das ohnehin in Norddeutschland sehr beliebt ist, eignet sich gut für Kohlfahrten, weil es darum geht, eine Kugel über eine festgelegte Strecke mit möglichst wenig Würfen zu bringen. Häufig werden bei Kohlfahrten aber auch eine Reihe anderer kurzer Spiele gespielt, für die die Gruppe in zwei Teams geteilt werden.

Im Gasthaus angekommen, wird weitergetrunken. Viele Gasthäuser bieten mittlerweile Flatrate-Pakete an, bei denen die Gäste vorab für Essen und Getränke bezahlen. Häufig müssen die einzelnen Gruppen schon ein halbes Jahr im Voraus reservieren. Ein*e DJ oder eine Band sorgen für Musik. Bei Kohlfahrten wird nach dem Essen viel getanzt. In den Gasthäusern kommen Menschen zwischen 20 und 80 Jahren zusammen – verschiedene Gruppen, die sich dort zum Essen und Feiern treffen.

Wer, so wie ich, im Bremer Umland aufgewachsen ist, für den gehören Menschengruppen mit Bollerwagen zum Landschaftsbild zwischen Dezember und März einfach dazu. Übrigens sind diese Gruppen immer gut drauf – wer gerade zufällig an ihnen vorbeigeht oder an der Ampel warten muss, wird häufig auf einen Schnaps eingeladen. Was auch sonst.

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