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Selektive Wahrnehmung: Mein Jahr ohne Trump

Anfang Januar 2018 demonstrieren elf Prinzen vor einem saudischen
Königspalast gegen das Ende der staatlichen Subventionen für ihre Strom- und Wasserrechnungen.
Sie werden verhaftet und in ein Hochsicherheitsgefängnis gebracht.

Im Südchinesischen Meer kollidiert ein iranischer Öltanker, der 113.000 Tonnen Leichtöl transportiert, mit einem chinesischen Getreidefrachter.

Der Immerather Dom, ein Sakralbau aus dem Jahr 1890, neoromanisch und denkmalgeschützt, muss der Braunkohle der Firma RWE weichen und wird abgerissen.

Was haben diese drei Nachrichten gemeinsam? Nicht viel. Außer vielleicht dies: Ich habe sie Anfang des Jahres, als sie gemeldet wurden, überhaupt nicht bemerkt. Das liegt daran, dass ich immer mehr über immer weniger lese. Ich lese zum Beispiel fast alles über den US-Präsidenten. Der US-Präsident strapaziert meine Aufmerksamkeit dermaßen, dass ich ihn in diesem Text, in dem es um anderes gehen soll, nicht beim Namen nennen werde. Ich nenne ihn jetzt einfach mal Schlump.

Manchmal denke ich, es ist wichtig, über Schlump Bescheid zu wissen. Schlump droht Nordkorea mit der totalen Vernichtung! Schlump schließt Frieden mit Nordkorea! Schlump droht dem Iran mit der totalen Vernichtung! Noch öfter aber habe ich ein ungutes Gefühl, wenn ich alles über Schlump lese, ich erfahre lauter Dinge, die ich nicht wissen muss. Ich muss nicht wissen, auf welche Weise Schlump die Europäische Union und die Pornodarstellerin Stormy Daniels beleidigt hat. Fast belogen komme ich mir vor, wenn ich zum x-ten Mal höre, Schlump habe den Bogen endgültig überspannt, er werde bald abgesetzt. Und dann geschieht wieder nichts.

Auch in Deutschland gibt es News, die alle anderen Dinge übertönen. Flüchtlinge. Rechte im Osten. Und der deutsche Schlump. Der deutsche Schlump heißt Schneehofer. Was kriegen wir eigentlich mit von der Welt, wenn wir nur noch darüber reden, was Schneehofer irgendwo gesagt haben soll?

Früher, als ich die Nachrichten noch nicht auf dem iPhone sah, sondern abends um acht in der
Tagesschau,
da wirkte die azurblaue Weltkarte hinter dem jungen Jan Hofer wie ein Versprechen. Es war das Versprechen, dass man nach den Topmeldungen aus Berlin und Washington auch noch etwas über Rebellen in El Salvador erfahren würde, über den Auftakt der Passionsspiele in Oberammergau und über die Präsidentschaftswahl in Albanien. Nachrichten, die wichtig erschienen, ohne dass sie einem globalen Megamegatrend gehorcht hätten. Nachrichten, die in ihrer Andersartigkeit überraschten. Nachrichten, die vielleicht sogar befremdeten. Oder klangen wie Poesie.

Wie wirkt sich das aus, wenn sich der Blick derartig verengt? Warum interessiert uns so vieles nicht mehr? Und was geschieht in den Wahrnehmungslücken?

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