/Robert Habeck: Und plötzlich ist die Welt eine andere

Robert Habeck: Und plötzlich ist die Welt eine andere

Irgendwann im Herbst ist Robert Habeck
zum Mann des Jahres aufgestiegen. Wenn nicht in der deutschen Politik, dann zumindest im deutschen Feuilleton. Claudius Seidl von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erkannte im rhetorischen
Talent des Holsteiners, dass “ein Außen, ein Jenseits von Politik
auch innerhalb dieser Politik wieder möglich werden könnte. Ulf Poschardt von
der Welt beschrieb Habeck als “männlichen Chick“, der gemeinsam mit
Heiko Maas und Christian Lindner eine “Hipsterampel” bilde. Niemals hätten die
Grünen so “ansehnlich, bürgerlich, selbstbewusst
dagestanden wie unter dem 49-jährigen Parteivorsitzenden.

Diese Belobigungen sagen über ihre
Autoren so viel aus wie über den Belobten. Als bürgerlicher, ästhetisch
denkender Mensch konnte man seit Jahrzehnten habituelle, prinzipielle,
traditionelle Gründe dafür haben, die Öko- und Moralistenpartei der alten
Bundesrepublik letztlich doch nicht zu wählen. Mit jeder neuen Häutung der
Grünen sind ein paar dieser Gründe weggefallen. So war das beim
Vorsitzendenwechsel zu Habeck und Annalena Baerbock nun wieder.

Das Lob auf Habeck hat aber auch mit
Habeck selbst zu tun. Kaum ein Politiker trat in den Talkshows der zweiten
Jahreshälfte schlagfertiger, präziser und dennoch nachdenklicher auf als er.
Politikerinnen und Politiker versuchen ja stets das zu sagen, “was ist”. Leider
kann man ihnen dabei oft nicht zuhören, denn nichts klingt kalkulierter und
abgegriffener als der sogenannte politische Klartext. Habeck hingegen scheint
beim Sprechen zumindest ab und an einen Gedanken zu entwickeln, den er nicht
schon vorher kannte. Es gibt bei Anne
Will
plötzlich wieder jemanden, dessen ganze Konzentration und Beherrschung
nicht schon dafür draufgeht, die sorgsam optimierte Rolle einzuhalten.

Pottwale an der Küste

Man kann in Habecks Aufstieg einen
Neulingsbonus hineinlesen – wer noch nicht so lange oben steht, dessen Macken
und Manöver fallen weniger auf –, und auch eine Genderkomponente: Während über Habecks Kanzlerfähigkeiten kleine
Abhandlungen verfasst werden, muss die nicht minder talentierte
Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock dem Spiegel ein
weiteres Mal erklären, dass kleine Kinder zu Haus und ein hohes Amt im
Regierungsviertel für eine Frau wie sie kein unlösbarer Widerspruch sind.
Habecks vier Söhne sind fast erwachsen. Wenn ihm jemand mit Fragen zu seinem
Privatleben kommt, greift er sich schon mal in den Stoppelbart und grinst sie weg.

Diese Selbstsicherheit könnte auch bildungsbiografische Gründe haben. Bevor
Habeck in Kiel die grüne Landtagsfraktion und später das Umweltministerium
übernahm, schrieben seine Frau Andrea Paluch und er Jugendbücher,
Unterhaltungsromane und ein Theaterstück über den Kieler Matrosenaufstand.
Seinen Politikerbüchern merkt man diese Übung an. In Wer wagt, beginnt schildert Habeck recht souverän, wie er sich
zwischen dem Familienleben in Flensburg, den Wattenmeer- und
Schweinezuchtproblemen Schleswig-Holsteins und nächtlichen Fahrradfahrten
durch Berlin behauptet.

Zu viel “Brüllen und Niedermachen”

Manchmal wird es auch kitschig: “Aber jetzt,
hier im Watt zwischen den toten Walen, sortierte sich wieder, was richtig und
wichtig war.” So beschreibt Habeck seinen Entschluss zur Parteivorsitzkandidatur,
den er gefasst haben will, als er angeschwemmte Pottwale an der Nordseeküste besichtigte. Wer weiß, vielleicht gibt es im Leben von Politikern
tatsächlich solche Schlüsselmomente, in denen das
Außergewöhnliche und das Bedeutsame in eins fallen.

Um zu erfahren, was einen Autor
antreibt, sollte man sein Frühwerk lesen. Robert Habeck verbrachte seine Zwanziger
damit, Philosophie, Germanistik und Philologie zu studieren. Als 31-Jähriger
verteidigte er an der Universität Hamburg eine Dissertation mit dem Titel Die Natur der Literatur: Zur
gattungstheoretischen Begründung literarischer Ästhetizität
. Erschienen ist
sie 2001 in einer soliden literaturwissenschaftlichen Reihe. Um eine
Alibipromotion dürfte es sich kaum gehandelt haben. Zu speziell ist der
theoretische Rahmen, in den Habeck sich einzuschreiben versucht. Zu einheitlich
der sprachliche Stil, der sich durch die gesamte Arbeit zieht. Zu tief die
Fachdiskussionen, die er prüft und referiert.

Im Grunde geht es dem Dissertanten
Habeck um die komplexe Version eines Gedankens, den der Politiker Habeck seinem
jüngsten kleinen Büchlein zugrunde legt. Zu viel “Brüllen und Niedermachen”
gebe es in der deutschen Diskussion, schreibt Habeck im Vorwort des diesen
Herbst erschienenen Wer wir sein könnten.
Das habe Auswirkungen auf uns und unsere Welt, denn: “Sprache repräsentiert
nicht etwas, was ohne sie da wäre, sondern bringt aktiv Wirklichkeit hervor.”

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