/Wohnungskrise: “Alle wollen neue Wohnungen, aber nicht vor der eigenen Tür”

Wohnungskrise: “Alle wollen neue Wohnungen, aber nicht vor der eigenen Tür”

“Wir würden ja gerne
mehr bauen, aber es ist einfach kein Platz mehr da.” Das hört man derzeit oft
in den Städten. In den Nachbargemeinden gibt es dagegen oft viele freie Äcker. Bei der großen Wohnungsknappheit in den Siebzigerjahren wurde deshalb oft Umland eingemeindet, um die Stadt dorthin auszudehnen. Ist das auch eine Lösung in der heutigen Mietenkrise? Der Frankfurter Bürgermeister Uwe
Becker will seine Stadt durch Eingemeindungen bis 2050 zur größten Metropole in
Deutschland machen. Ein Ansatz mit vielen Vorteilen, sagt der Immobilienökonom
Tobias Just. Das Interview ist Teil des Wohnen-Schwerpunkts von ZEIT ONLINE.

ZEIT ONLINE: Herr Just, kann die
Eingemeindung das Platzproblem in den Städten lösen?

Tobias Just: Ich befürworte das – wo es sinnvoll ist. Die Eingemeindung hat den
Vorteil, dass man damit den Konflikt zwischen innen und außen auflösen kann.
Innen die immer teurer werdende Stadt – außen das günstige Umland. Unsere
Stadtgrenzen sind immer nur ein Spiegel der Vergangenheit. Wenn sich
wirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmen ändern, sollten sich aber auch die
Städte anpassen. Stadt ist, was wie Stadt funktioniert.

Tobias Just ist Professor für Immobilienwirtschaft am IREBS Institut für Immobilienwirtschaft an der Universität Regensburg. Er leitet die IREBS Immobilienakademie und ist Präsident der Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung.
© Hans-Jürgen Heyer/IREBS

ZEIT ONLINE: Da werden
sich die Umlandgemeinden allerdings beschweren, wenn die Stadt zu ihnen
herauswuchert. Viele wohnen ja dort, weil es so schön grün ist.

Just: Die Umlandgemeinden können sich nicht einfach von der
Problemlösung ausklinken. Sie profitieren schließlich auch von einer
erfolgreichen Kernstadt. Schauen Sie nach München oder Frankfurt, dort kommen
zwei von drei Beschäftigen von außerhalb. Die Stadt übernimmt viele Funktionen:
Sie stellt Kultur bereit, Bildung und Arbeitsplätze – davon profitiert das
Umland.

ZEIT ONLINE: Schon jetzt
weisen Bürgermeister im Umland aber nicht gern Bauland
aus. Sie haben Angst vor der Überfremdung durch Stadtbewohnerinnen und vor neuen Wohnklötzen.

Just: Verständlich: Es ist immer angenehmer, wenn andere die Lasten
tragen. Das gilt auch für die Nachverdichtung: Alle wollen neue Wohnungen, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür, das klassische
Problem. Selbst wer nach Frankfurt-Höchst zieht, wehrt sich, wenn aus
dreistöckigen Häusern sechsstöckige gemacht werden sollen. Das ist zwar menschlich
nachvollziehbar, aber nicht zielführend für die städtische Entwicklung. Ein anderes Beispiel ist der
ehemalige Flughafen Berlin-Tempelhof: Man hat beschlossen, das Tempelhofer Feld
nicht zu bebauen. Entschieden haben das wie immer die Versorgten, die bereits etwas
haben – nicht die Suchenden, die etwas brauchen. Bauen würde jenen helfen, die noch nicht
dort wohnen und deshalb auch noch keine Politiker dort wählen können.

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