/“Die drei Fragezeichen”: Daniel und die Detektive

“Die drei Fragezeichen”: Daniel und die Detektive

Als das Verbrechen in mein Leben kam, hatte ich Tomatensoße im Haar. Die
Tat: besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 243 Strafgesetzbuch. Der Tatort: mein
Elternhaus am Ende einer Sackgasse in einer westfälischen Kleinstadt. Die Tatzeit: zwischen 19
und 21 Uhr an einem kalten und klaren Dezemberabend im Jahr 1988. Zeugen: keine.

Wie so oft hatten wir auch an diesem Sonntag beim Italiener gegessen, wie so oft hatte ich Spaghetti alla napoletana bestellt. Wie immer hatte ich mich komplett eingesaut. Auf dem Weg nach Hause saß ich hinter meinem Vater auf der Rückbank. Als wir in unsere Straße einbogen, war ich es, der als Erster bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Dass das Licht im Giebel der Garage, das sonst immer anging, wenn man sich ihm näherte, nicht leuchtete. Mein Vater wies mich und meine Mutter an, die Knöpfe an den Autotüren runterzudrücken, er wolle mal sehen, was da los ist. Nach ein paar Minuten kam er zurück und sagte: “Die Tür zum Waschraum wurde aufgebrochen.” Er sagte das so unaufgeregt, wie er sonst sagte: “Ich leg mich mal in die Wanne.”

Ich wusste sofort, dass sie weg war.

Die Einbrecher hatten einen Stein auf die Glühbirne geworfen, dann das Garagentor aufgehebelt und schließlich die Verbindungstür zum Haus. An diesem Abend verlor meine Mutter fast ihren gesamten Schmuck und einen geerbten Nerzmantel, mein Vater seinen neuen Fernseher und ich das kostbarste Geschenk, das mir je gemacht worden war: eine blau-grüne Armbanduhr mit einem dezenten Fußball auf dem Ziffernblatt. Meine Patentante hatte sie mir eine Woche zuvor zu meinem sechsten Geburtstag geschenkt. Ich hatte sie sofort geliebt und unbedingt anziehen wollen, aber meine Mutter hatte nur den Kopf geschüttelt. “Die Tomatensoße, Junge! Du willst die Uhr doch nicht gleich ruinieren!” Es war keine teure Uhr, aber es war meine Uhr. Die erste, die ich je am Handgelenk trug.

Ich habe in dieser Nacht nicht geschlafen. Stattdessen saß ich am Fenster und dachte: Vielleicht kommen sie ja zurück und bringen mir die Uhr wieder. Was will ein erwachsener Mann schon mit einer Kinderuhr? Damals wusste ich nicht, dass Einbrecher eher nicht an den Tatort zurückkehren. Das machen nur Mörder. So wie etwa Peter Kürten, der “Vampir von Düsseldorf”, einer der berühmtesten deutschen Serienkiller. Kürten tötete in den 1920er-Jahren mindestens neun Menschen und besuchte nach seinen Taten mehrmals den Ort des Geschehens, fertigte dort in aller Seelenruhe Zeichnungen vom Tatort an und verschickte sie an Zeitungen.

Die Einbrecher aber kamen nie zurück, wie auch meine Uhr. Der erste Fall meines Lebens blieb ungelöst.

Vielleicht war es Schicksal, vielleicht Zufall, dass nur eine Woche später drei etwa 13-jährige Jungs in mein Leben traten, die sich darauf verstanden, Verbrechen aufzuklären: die drei “???”. Mein Opa, der auf Mallorca lebte, kam zu Besuch und schenkte mir eine dieser Hörspielkassetten, die damals schon so aussahen wie heute: in der Mitte eine nachtschwarz umrahmte, knallbunte Zeichnung. Oben rechts ein weißes, ein blaues und ein rotes Fragezeichen, stellvertretend für die drei Detektive.

Justus Jonas, der erste Detektiv, hochintelligent, altklug, dick.

Peter Shaw, der zweite Detektiv, ängstlich, abergläubisch, athletisch.

Bob Andrews, Recherchen und Archiv, besonnen, belesen, schlagfertig.

Oben links zierte jede Kassette das schwarz-weiße Konterfei von Alfred Hitchcock, was wohl suggerieren sollte, dass sich der große Meister der Spannung das alles ausgedacht hatte. Das aber war 1964 der amerikanische Journalist Robert Arthur gewesen, der Hitchcock gut kannte und von ihm die Lizenz erwarb, dessen Namen verwenden zu dürfen. Arthur ahnte wohl, dass dies den Verkauf ankurbeln würde. Zudem ließ er Hitchcock als Erzähler auftreten, der den Jungs immer wieder Fälle vermittelt.

Auf der Kassette meines Opas prangte ein furchterregendes Ziffernblatt, mit roten Augen und spitzen Zähnen. Ich weiß nicht, ob mein Großvater von dem Uhrendiebstahl wusste und das als eine tröstliche Geste empfand oder ob er einfach blind ins Regal gegriffen hatte, jedenfalls wurde nun Folge 12 der Hörspielreihe,
Die drei ??? und der seltsame Wecker,
der zweite Kriminalfall meines Lebens. Und der beginnt mit einem markerschütternden Schrei.

Justus findet auf dem Schrottplatz seines Onkels Titus einen Wecker. Als er das Kabel einsteckt, ertönt dieser schrille Schrei, der immer lauter und lauter und lauter wird. Bei ihren Recherchen nach dem rechtmäßigen Besitzer stoßen die drei “???” auf eine ganze Reihe sonderbarer Rätsel und decken am Ende einen großen Kunstdiebstahl auf, hinter dem ein gewisser Victor Hugenay steckt. Wie ich später erfahren sollte, ist Hugenay so etwas wie der Lieblingsgegner der drei “???” – und der Einzige, der ihnen am Ende dann doch immer entwischt. Ein feiner, kluger Mann, ein Gentleman und Meisterdieb. Ich war mir sofort sicher: Er hatte meine Uhr gestohlen.

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