“Dat is aber auch still hier drin. Da wird man ja ganz trübsinnich.” Der Knirps, der das sagt, ist der kleine Hans-Peter Kerkeling, neun Jahre alt, wohnhaft in Recklinghausen. Er macht mal wieder seine Späße, imitiert, was die Erwachsenen so reden und tun den lieben langen Tag. Alle lachen darüber. Aber die, die er am verzweifelsten erreichen will, die am meisten lachen soll, die reagiert nicht mehr. Seine Mama. Die sitzt nur noch da und schaut aus dem Fenster. Still. Und trübsinnig.
Die Szene wirkt beinahe harmlos, aber hier kämpft ein Kind um das Leben seiner Mutter, mit kleinen Sketchen und feinem Blödsinn, mit nachgesungenen Schlagern und rollenden Kulleraugen. Ein kleiner Unterhaltungskünstler im Clinch mit den Dämonen, die seine Mutter in ihren Klauen halten. Die seiner Familie immer wieder auflauern und ihr Glück zerstören wollen, so bescheiden und klein es auch sei.
Aus großer Tragik entsteht große Komik, und wer sich je gefragt hatte, woraus Hape Kerkeling seinen so warmherzigen Humor modellierte und seine Figuren vom Hannilein bis Horst Schlämmer, der bekam 2014 in seinem Buch Der Junge muss an die frische Luft die Antwort. Als er neun Jahre alt war, hatte sich seine Mutter das Leben genommen.
Kurz nach dem Erscheinen des Buchs zog Kerkeling sich aus dem Showgeschäft zurück. Seit vier Jahren schweigt er größtenteils, und dieses Schweigen verstärkt die Wirkung seiner ernsten Biografie und, auch das, spirituellen Sinnsuche. Nach Ich bin dann mal weg ist Der Junge muss an die frische Luft nun schon die zweite Kerkeling-Verfilmung. Um es ganz deutlich zu sagen: Damit kommt zu Weihnachten der bewegendste deutsche Film des Jahres 2018 in die Kinos.
Eine Tragikomödie, die wirklich beides zusammenbringt: Lachen und Weinen. Die Humor als probates Mittel zeigt, um sich gegen die Zumutungen des Lebens zu wehren. Die die Großfamilie ohne einen falschen Ton feiert als Fundament, auf dem man stehen kann. Und ein Sprachkunstwerk, das den Ruhrpott-Slang in allen Schattierungen schillern lässt, derb und deutlich, ehrlich und herzlich. Die Sprache ist hier niemals aufgesetzt, sie atmet Leben. Wer das Kino verlässt, könnte versucht sein, der Welt künftig immer per dat und wat die Schärfe zu nehmen.
Oma und Opa heißen hier Omma und Oppa, und wie die wundersame Konsonantenverdopplung schon andeutet, handelt es sich bei allen Vieren um Prachtexemplare, die man jedem kleinen Jungen und Mädchen wünschen möchte. Omma Änne (Hedi Kriegeskotte) etwa gibt dem kleinen Hans-Peter (Julius Weckauf) folgende Lebensweisheit mit auf den Weg: “Wenne wat wills, dann machet einfach und kümmer dich nich drum, wat die Leute sagen.” Hans-Peter weiß nämlich schon ganz gut, was er will: An Karneval als Prinzessin gehen, auch wenn die Leute sagen, als Junge mache man so was nicht.
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