Wie wir mit unseren Eltern klarkommen, ohne die Nerven zu verlieren.
Ich hatte die Waschmaschine angestellt, und jetzt gab es Streit. Was war schiefgelaufen? Alles. Die Klamotten hatte ich falsch sortiert, Bunt- und Schwarzwäsche zusammen. Das Programm hatte ich falsch ausgewählt, 30 statt 40 °C. Und – Himmel! – sogar das falsche Waschpulver hatte ich benutzt. Meine Mutter regte sich auf, weil ich die Wäsche machte, so wie ich das richtig finde. Und nicht wie sie. “Hättest du mal gefragt!”, schimpfte sie. Ich regte mich auf, dass sie sich aufregte: “Das ist doch gar nicht schlimm!” Das regte wiederum sie auf. Und dann regte ich mich auf, dass ich mich aufregte, statt einfach cool zu bleiben. Wir standen vorm Wäscheständer und blafften uns an.
Ich liebe meine Eltern. Und ich liebe auch mein Leben in meiner Studenten-WG in Heidelberg. Dort tue ich Dinge, die zu Hause undenkbar wären: die Schuhe in der Wohnung anlassen. Geschirr in der Spüle stapeln. Und statt in unserer Küche zu frühstücken, gehe ich morgens ins Café und bestelle Cappuccino, obwohl ich mir das eigentlich nicht leisten kann.
Vor fünf Jahren bin ich zu Hause ausgezogen, damals war ich 18 Jahre alt. Wenn ich von meinem neuen Leben sieben Stunden lang, mit dem ICE und der Regionalbahn, zurück in mein altes Leben bei den Eltern fahre, dann freue ich mich auf meine Mutter und meinen Vater, auf meine jüngeren Schwestern, auf meinen älteren Bruder, wenn er auch gerade da ist, und auf Retgendorf, das Kaff am Schweriner See, in dem ich aufgewachsen bin. Trotzdem kommt es vor, dass ich mich bei Heimatbesuchen auf den Mond wünsche. Oder wenigstens zurück in meine dreckige WG-Küche in Heidelberg.
Ram Dass, ein früherer Psychologie-Professor, der sich heute als spiritueller Guru verdingt, sagte einmal: “Wenn du glaubst, dass du erleuchtet bist, dann verbring mal eine Woche bei deinen Eltern.” Ich bin nicht anfällig für Esoterik, aber in diesem Punkt stimme ich dem Guru zu.
Warum ist es so schwierig, mit den Menschen auszukommen, die man eigentlich liebt?
Ich rufe Heike M. Buhl an. Sie ist Psychologie-Professorin in Paderborn und erforscht Beziehungen von erwachsenen Kindern zu ihren Eltern. Hoffentlich kann sie erklären, warum Elternbesuche manchmal schwierig sind. Ich frage sie: “Stehen wir unseren Eltern während des Studiums vielleicht nicht mehr so nah?” – “Nein”, antwortet Buhl. “Wenn wir bei den Eltern ausziehen, verbessert sich die Beziehung sogar bei den meisten.”
In einer Befragung des Forschungspanels Pairfam von rund tausend Studierenden zwischen 18 und 30 Jahren sagten 1,6 Prozent, dass sie sich “gar nicht” oder “wenig” mit ihren Eltern verbunden fühlen. 85 Prozent sagten, dass sie in einem “engen” oder “sehr engen” Verhältnis zu mindestens einem Elternteil stehen. Mir geht es da nicht anders als der großen Mehrheit: In meinem ersten Jahr an der Uni rief ich alle zwei Wochen zu Hause an, einmal im Monat saß ich im Zug in Richtung Mecklenburg. Aus der Ferne habe ich vor Vorfreude die Streitigkeiten vergessen.
Auch andere Statistiken sagen, dass meine Generation sich blendend mit den Eltern verstehen müsse. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat erforscht, wie sich das Familienleben verändert. Studienteilnehmer, die älter als 60 Jahre sind, beschreiben ihre Kindheit in den Befragungen oft mit Begriffen wie “Strenge” oder “Unterordnung”. Sie sprechen von einem Mangel an Rücksichtnahme auf ihre Bedürfnisse. Bei den 16- bis 29-Jährigen kommen diese Begriffe viel seltener vor. Die meisten von uns sind mit verständnis- und liebevollen Eltern aufgewachsen.
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