Die Deutsche Bahn AG will bis 2023 den Verkauf von Fahrkarten für den Fernverkehr an eigenen Automaten komplett aufgeben, um Kosten zu sparen. Dafür soll der digitale Ticketvertrieb weiter massiv ausgebaut werden. Das Vorhaben ist Teil der 220-seitigen „Agenda für eine bessere Bahn“ von Bahnchef Richard Lutz. Interne Unterlagen, die der Aufsichtsrat des größten Staatskonzerns kürzlich beraten hat, liegen unserer Redaktion vor.
Die Pläne betreffen viele Bahnkunden. Die DB AG verkauft 140 Millionen Fernverkehrstickets pro Jahr. Mehr als 70 Prozent der Fahrkarten für ICE- und Intercity-Züge sind den Strategiepapieren zufolge bereits digitale Tickets, die per Smartphone oder Computer gebucht werden. Allein der DB Navigator hat pro Monat schon bis zu neun Millionen Nutzer und ist damit eine der erfolgreichsten Reise-Apps in Europa.
Für den Konzern ist der digitale Direktvertrieb über die App und das zentrale Internetportal bahn.de profitabler als der Verkauf über Automaten, die in vielen der 5500 Bahnhöfe stehen und nicht selten defekt sind. Im Fernverkehr, den die DB AG ohne direkte Zuschüsse betreibt, sollen die relativ hohen Kosten für die Geräte deshalb künftig eingespart werden.
Unter dem Stichwort „Weiterentwicklung Vertriebsaktivitäten“ heißt es in den internen Unterlagen zum Fernverkehr unmissverständlich: „Realisierung des Ausstiegs aus dem Automatenverkauf bis 2023.“ Gleichzeitig sollen aber einige der noch rund 400 Reisezentren in großen Bahnhöfen zu Service- und Produktcentern ausgebaut werden.
Ein Bahnsprecher erklärte auf Anfrage, es gebe bisher „keinen Beschluss“, nach 2023 keinen eigenen Automatenverkauf mehr anzubieten. Allerdings werde der Anteil dieses Vertriebswegs bis dahin auf wohl nur noch zwei Prozent schrumpfen. Ziel der DB AG bleibe unverändert, den Kunden möglichst alle Bahntickets in allen Verkaufskanälen zugänglich zu machen, auch bei Drittanbietern, soweit sich Einigungen erzielen lassen.
Ein Viertel der Tickets wird am Automaten gekauft
Die DB hat nach früheren Angaben rund 7000 Ticketautomaten bundesweit aufgestellt, deren Anteil an den Vertriebseinnahmen seit Jahren sinkt: Zwischen 2015 und 2017 schrumpfte er von 27,5 auf 24,5 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil der Online-Fahrkarten von 32,6 auf 39,4 Prozent. Der Rest wird über Reisezentren und Agenturen verkauft.
In diesen Zahlen sind Fern- und Regionalverkehr (bis 50 km) zusammengefasst. Im Regionalverkehr zählt allein die DB AG mehr als drei Milliarden Kunden pro Jahr, der Anteil der digitalen Tickets liegt aber den Angaben zufolge erst bei rund zehn Prozent. Hier will der Konzern nutzerfreundliche digitale Angebote ebenfalls stark ausbauen und Kosten senken. Im Regionalverkehr und den mehr als zwei Dutzend Verkehrsverbünden bundesweit dominieren aber andere Anbieter, die eigene Automaten und Vertriebssysteme haben.
In Hessen verkauft der kommunale Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) als erster Verbund auch DB-Fernverkehrstickets. In Nordrhein-Westfalen wiederum hat der DB-Konkurrent Transdev die öffentliche Ausschreibung für den landesweiten Regionalticket-Vertrieb gewonnen und übernimmt dort nun auch komplette DB-Reisezentren in den Bahnhöfen. Einigen DB-Zentren wie in Mönchengladbach könnte jedoch die Schließung drohen. Das führte in den betroffenen Städten bereits zu Protesten.
Die DB und Transdev verhandeln derzeit unter anderem darüber, ob Transdev in NRW künftig auch ICE-Tickets verkauft. Dabei geht es nicht zuletzt um Umsatzprovisionen. Falls keine Einigung erzielt wird, würde das für Bahnkunden im größten Bundesland bedeuten, dass sie in den Reisezentren keine DB-Tickets mehr erhalten und der Konzern den stationären Verkauf seiner ICE-Fahrkarten in den dortigen Bahnhöfen neu organisieren müsste.
Kritik an der Bahn hält an
Der Fahrgastverband Pro Bahn warnt vor der Zersplitterung des Ticketvertriebs. „Bahnfahrkarten müssen überall aus einer Hand zu kaufen sein“, fordert der Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann. Falls sich der Automatenverkauf nicht mehr lohne, solle die Bahn den Ticketverkauf am Telefon und im Zug vereinfachen. Auch Menschen ohne Computer oder Smartphone, müssten weiterhin problemlos und ohne Aufpreis Tickets kaufen können.
Bahnchef Lutz muss laut „WamS“ am 15. Januar im Bundesverkehrsministerium Eckpunkte zur Verbesserung der Lage vorstellen, um diese dann dem Aufsichtsrat vorzulegen. Denn die Bahn steht weiter scharf in der Kritik. Bei der Linken im Bundestag wird der Ruf nach einer Wiederverstaatlichung laut. „Niemand kann uns erzählen, dass die Bahn als staatliche Behörde schlechter als jetzt laufen würde“, schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer Jan Korte in einem Vorschlag an seine Fraktion. Der Grünen-Verkehrspolitiker Matthias Gastel warf der CSU vor, die Krise wesentlich mitverschuldet zu haben. Die CSU stellt seit 2009 den Verkehrsminister.
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