Einmal im Jahr wird mir bewusst, dass ich beruflich quasi gar nichts erreicht habe: Wenn ich an Weihnachten ehemalige Klassenkameraden treffe – und das Thema Arbeit zur Sprache kommt. Was in der Regel um die zwei Minuten ab der Begrüßung geschieht. Meine Freunde und Freundinnen aus der Schulzeit haben Doktor- oder Arzttitel, eine Stelle an der Uni, einen eigenen Betrieb oder eine Führungsposition. Und sie unterhalten sich genau darüber: wie krass die Facharztausbildung sei, wie schwierig die Selbstständigkeit, wie dünn die Luft in den Führungsetagen. Aber das alles sei ja auch nicht so wild, zweites Kind schon unterwegs, trotzdem eigenes Haus gekauft, Forschungspreis abgeräumt oder gerade drei Wochen La Gomera vor sich.
Ich habe sehr oft und sehr geduldig in vielen Jahren versucht, das Thema zu wechseln. “Wie geht es euch denn sonst so?”, habe ich gefragt und gehofft, dass irgendjemand sich erbarmt und mir etwas erzählt, das nichts mit Job zu tun hat. Erfolgsquote: fünf Prozent. Manchmal wäre ich am liebsten aufgestanden, während wir so im Wohnzimmer meiner Schulfreundin saßen, hätte die beknackte Vase, den ich schon als Jugendliche hässlich fand, an die Wand geworfen und gebrüllt: Wir haben doch früher über wichtige Dinge gesprochen, über Beziehungen, unsere Eltern, Hoffnungen und Ängste. Und jetzt? Jetzt reden wir nur noch den Müll, den wir auch auf diesen seelenlosen After-Work-Partys vor uns hin brabbeln: Der Chef nervt mich so. Mega ätzender Kunde. Wieder Überstunden. Aber geil, dass wir jetzt auch Yoga machen können in der Mittagspause. Erfolg über Erfolg, klar, stressig und so, aber hey, endlich Beförderung.
Wenn wir dann irgendwann auf meine Arbeit in der Kreativwirtschaft zu sprechen kommen, druckse ich rum. Ich verdiene nicht viel weniger als meine alten Schulfreunde, habe auch Preise gewonnen und bin manchmal auf mich stolz. Aber erzählen will ich das nicht. Denn einerseits ist es natürlich verlockend, wie nebenbei fallenzulassen, wie toll man eigentlich ist. Aber spätestens seit Instagram weiß ich, dass die eigenen Erfolge sich im Geile-Leben-Schwanzvergleichen immer mickriger anfühlen, als sie eigentlich sind. Und dass dieser Wettbewerb sich für niemanden gut anfühlt – auch nicht für die, die ihn gewinnen.
Was mich interessiert, sind sowieso ganz andere Dinge. Meine Klassenkameraden und ich sind gemeinsam erwachsen geworden. Wir haben die schönsten Dinge zusammen erlebt. Einbrüche mitten in der Nacht ins Freibad, betrunken im Unterricht, ein Meerschweinchen entführt und wieder zurückgebracht, die Zulassung zum Abi nicht bekommen, das erste Mal Liebeskummer, das dritte Mal Liebeskummer, die erste richtige Beziehung, durch die Führerscheinprüfung gefallen, ganze Sommer an einem geheimen See, ganze Nächte in den immer gleichen Elternwohnzimmern, wenn einer von uns sturmfrei hatte.
Wir haben so viel geteilt und wir hätten uns so viel zu sagen – gerade wir könnten diejenigen sein, die nicht den schönen Schein wahren müssen. Ich will mich nicht auch noch bei Menschen, die ich seit Ewigkeiten kenne, aufführen wie bei einem Bewerbungsgespräch. Ich will mich nicht selbst pitchen und ins beste Licht setzen. Denn gerade Klassentreffen an Weihnachten könnten der Gegenentwurf zu all den Networking-Veranstaltungen sein, bei denen man andere beeindrucken muss, um beruflich weiterzukommen.
Deswegen ist es besonders bitter, dass ausgerechnet das Aufeinandertreffen mit allen Klassenkameraden zu einem Leistungsmessen verkommt. Ich verstehe natürlich auch ein bisschen, woher das kommt: Es ist nicht einfach, sich gegenüber Menschen zu öffnen, die man manchmal nur einmal im Jahr sieht. Oft sind die Leben schon so eine lange Zeit nur minimal miteinander verwoben, sodass man als gemeinsame Gesprächsbasis nur auf die Vergangenheit zurückgreifen kann oder auf das, worüber sich unsere Gesellschaft definiert: Arbeit.
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