/Konsum: In Bratapfeligkeit gehüllt

Konsum: In Bratapfeligkeit gehüllt

Vor wenigen Tagen ging ich mit der Kleinfamilie den Kurfürstendamm
rauf und ein Stück auch wieder runter, es war schon dunkel. Die
Stimmung war adventlich aufgeladen, die Luft roch abwechselnd lushig
und bratapfelig oder beides zusammen, weil Lush gerade
Bratapfel-Body-Wash im Angebot hatte. Die Schaufenster strahlten den warmen
Lichtschein des Kapitalismus aus, dessen Wellenlänge nicht
zufällig unsere Herzen öffnete, darin er sich in Wohlgefühl
verwandelte, obwohl der Glühweinstand noch vor uns lag.

In der zuckerwattierten Zeit vor dem Jahreswechsel ist man natürlich besonders
geneigt, überall den aus der Zeit gefallenen “guten Kaufmann” zu
erkennen, der nicht sich bereichern will, sondern die Leben seiner
Kunden. Plötzlich lachen einen nur noch Philanthropen an, ich musste an den weihnachtsmannhaften Spielzeugladenbesitzer aus Kevin – Allein in New York denken.

Ich fühlte mich sicher, wie wir da von Geschäft zu Geschäft
gingen. Die Bummelnden waren sich nicht Wolf, sondern Kunde, geeint
durch die Abmachung, die Dinge in den Auslagen erstrebenswert zu
finden. Der eine blieb hier stehen, die andere dort. Die Sehnsucht
nach der anderen Seite des am Morgen nachpolierten Schaufensters war
dieselbe. Es herrschte eine Eintracht, die man dem Spätkapitalismus gar nicht zugetraut hätte.

In den vergangenen 2.000 Jahren haben Jesu Geburt und
vorweihnachtlicher Konsumrausch eine nicht unbedingt erwartbare
Annäherung vollzogen. Es wundert niemanden mehr, wenn ein auf
Stroh gebettetes Kindchen im Foyer eines Kaufhauses liegt, in Lumpen
gehüllt. Hätte sich Maria nicht auch einen Petit-Bateau-Strampler für
ihren Jungen gewünscht?

Wir gingen ins KaDeWe, Berlins Bling-Bling-Kaufhaus. Im ersten Stock paradierte ein mit Primark-Tüten
behangenes Freundinnentrio über die marmorierte Missoni-Gucci-Allee. Sie schauten sich um, und noch einmal, und wirkten dabei vollkommen neidlos. Sie waren Reisende, die
nicht gekommen waren, um mitzunehmen, sondern um zu erleben. Sie bestaunten die Mysterien des Kapitalismus, wie ein Geologe die Aufwerfungen der Erdgeschichte bestaunt. Sie genossen die nach allen Regeln der
Werbepsychologie eingerichteten Markencluster, deren Behaglichkeit
man sich nur entziehen kann, wenn man es darauf anlegt. Und ich
fragte mich: Darf man dieses elaborierte Angebot an unser Wohlfühlzentrum einfach ignorieren? Sollen die ganzen mit
kostenlosem Agenturfrühstück kompensierten All-Nighter
überqualifizierter Dichter und Designer etwa umsonst gewesen sein?

In seinem Buch Das Gute in den Dingen schreibt der Philosophieprofessor Emanuele Coccia über die Werbung: “Ihre Reime sind immer das Ergebnis einer Berechnung, eines
Willens, einer wahren Kunstfertigkeit. In unserem Gedächtnis haben
ihre Kinderreime die Sprichwörter der Vergangenheit ersetzt.” Er meint das nicht zynisch.

Auf einem lackierten, der Form eines Baumstumpfs nachempfundenen
Tonhocker sitzend beobachtete ich das wundervolle, von einem immensen
Spiegel zurückgeworfene Lächeln meiner kleinen Tochter. Meine
Freundin hängte gerade einen ihr Budget übersteigenden
Isabel-Marant-Mantel zurück auf den Bügel. Die Vorfreude, das
wollene Teil (vereint Oversize-Silhouette und Statement-Kragen) irgendwann für einen nicht mehr ganz so obszönen Preis im Sale zu
erwerben, stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Nicht wenige behaupten ja, all das Habenwollen führe
zwangsläufig ins Verderben, weil dem Wesen des Kapitalismus nach
alle wollen, aber nur wenige können. Und die, die am wenigsten
können, schlagen irgendwann kaputt, was ihnen verwehrt bleibt – und
die dazugehörige Ordnung gleich mit. Dabei ist doch der Kunde in uns
eine der verträglichsten Versionen des Menschen. Gezähmt vom
Fetisch der käuflichen Dinge.

“Tatsächlich sprechen unsere Städte nämlich, wenn sie vom Glück sprechen, über nichts anderes als Waren.” So drückt es Coccia aus und ist beeindruckt vom unermüdlichen Kraftakt des Schaffens immer neuer Waren und Begehrlichkeiten. Gute Werbung transportiert eine höhere Wahrheit, Copywriter
verwenden einen Großteil ihrer Lebenszeit und ihres Intellekts
darauf. Man darf das würdigen. Jene Expertise, mit der sie aus einem
großformatigen Plakat einen Durchgang in die Parallelwelt der Waren öffnen, wo
das Glück bezahlbar ist. In den Einkaufsstraßen treffen Real-Life und Werbe-Life im Konsum vereint aufeinander. Klar, dass
sie bald wieder auseinanderfallen, der Übergang in die
zweidimensionale Welt ist ja nur aufgemalt.

Auf dem Nachhauseweg frage ich mich, wie die Stadt ohne Werbeplakate aussehen würde. Wie grau, wie dunkel. Am S-Bahnhof spiegele ich mich einen Augenblick lang in der unerhört strahlenden Haut eines unerhört hübschen Vichy-Models. Mit leuchtenden Augen blickt sie auf die mit Kaugummi und Kippen übersäte Bahnhofstreppe herab. Ihr Mondscheinteint überzieht die Stufen mit einer feinen Schicht
Behaglichkeit, bilde ich mir ein, während ich den mit Weihnachtsgeschenken beschwerten Kinderwagen hinaufschleppe. Der Fahrstuhl ist nämlich kaputt.

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