Karsten Polke-Majewski leitet das Team Investigativ/Daten von ZEIT ONLINE.
Der sogenannte Fall Claas Relotius hat unter Journalisten und Lesern eine große Debatte ausgelöst. Der Spiegel-Reporter hatte Teile seiner vielfach ausgezeichneten Reportagen gefälscht. Sie waren vor allem im Spiegel erschienen, aber in früheren Jahren auch in anderen Medien, darunter eine Handvoll Texte bei ZEIT ONLINE und ZEIT WISSEN in den Jahren 2010 bis 2012. Diskutiert wird nun, ob die Form der großen Reportage noch funktioniert. Ob es immer um die perfekte Szene, den idealen Spannungsbogen gehen muss, ob es das richtige Ziel sei, mit einem Artikel ein Kino im Kopf auszulösen. Beklagt werden die Jagd nach der idealen Geschichte, Geniekult und Selbstbeweihräucherung. Manche fordern, mehr Demut zu zeigen. Andere werben dafür, Ambivalenz zuzulassen.
Man muss das alles diskutieren. Doch es bleibt die Frage, wie sich ein solcher Betrug verhindern lässt. Das einfache journalistische Handwerk hält dafür eine Vielfalt an Methoden bereit. Wir müssen sie nur anwenden. Wenn etwa eine einfache Google-Suche nach dem Namen eines Protagonisten schon kein einziges Ergebnis liefert, muss man fragen, welche Belege der Autor dafür vorlegen kann, dass der beschriebene Mensch tatsächlich existiert. Redaktionen können um ein kurzes Protokoll bitten und um die Kontaktdaten von Informanten, die im Rahmen einer Recherche konsultiert wurden. Fotos lassen sich im Netz auf Echtheit prüfen. Einfach zugängliche Satellitenbilder zeigen, ob vor einer Kleinstadt, wie beschrieben, tatsächlich ein Wald wächst. Man kann nach Tonaufnahmen von Interviews fragen und nach Dokumenten, die die Aussagen belegen. Man kann eine zweite Quelle suchen.
Mehr noch: Man kann sich dafür entscheiden, nicht der Erste oder der Exklusivste zu sein, wenn man sich einer Sache nicht sicher ist, wenn man eine Geschichte nicht für plausibel hält, und dafür etwas später richtig berichten. Man kann offenlegen, was man nicht weiß oder nicht abschließend belegen kann. Man kann sich sogar entschließen, gar nichts zu schreiben, wenn die Geschichte nicht zu fassen ist. Jede Chefredaktion wird das mittragen, wenn sie andernfalls Gefahr läuft, Fehler oder Unwahrheiten zu publizieren.
Viele Redaktionen werden, wie auch die von ZEIT und ZEIT ONLINE, in den kommenden Wochen diskutieren, wie sie diese einfachen Methoden in Zukunft noch konsequenter einsetzen können. Welche redaktionellen Prozesse wir verändern müssen, um uns vor ganz einfachen und auch komplexeren Fälschungen noch besser zu schützen. Ob wir deutlich mehr Ressourcen in Recherche und deren Überprüfung investieren müssen. So weist der sogenannte Fall Relotius über Claas Relotius selbst hinaus, der seine Quellen und auch Belege dafür mit betrügerischer Energie gefälscht hat und in der Lage war, die wohl beste Dokumentationsabteilung des deutschen Journalismus immer wieder zu täuschen.
Der vielleicht stärkste Prüfmechanismus ist es, im Team zu arbeiten. Wenn Reporter, Rechercheure, Fotografen und Redakteure zusammenarbeiten, wenn sie miteinander ihre Ideen diskutieren, wenn sie ihre Erfahrungen zusammentragen und einander ihre Rechercheergebnisse vollständig offenlegen, zeigen sich Widersprüche und Unklarheiten.
Der sogenannte Fall Relotius selbst zeigt, wie gut dieser Prüfmechanismus funktioniert. Die Fälschungen wurden dadurch aufgedeckt, dass Relotius mit dem Reporter Juan Moreno zusammen an einem Artikel arbeitete. Moreno fielen Ungereimtheiten auf, denen er nachging. Relotius scheiterte nicht an einer letzten, besonders überdrehten Geschichte. Sondern daran, dass sich Unwahrheiten und Erfindungen in der Teamarbeit viel schlechter verschleiern lassen.
Völlig verhindern lässt sich Betrug mit all diesen Mitteln nicht. Letztlich lebt guter Journalismus auch von Redlichkeit und Vertrauen. Aber vielleicht ist in einer komplexen Welt nicht die große, spannend erzählte Reportage der Fehler, sondern der Versuch, diese Komplexität allzu sehr zu reduzieren. Und vor allem, sich ihr alleine zu nähern, sie alleine zu recherchieren und alleine aufzuschreiben.
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