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Familienbetriebe: Das Weihnachtsdorf

Wolfgang Glöckner findet keine Ruhe. Es ist sein erstes Weihnachten ohne Arbeit. Ihm ist ein bisschen langweilig. Er schaut jetzt häufig fern und kritzelt in Kreuzworträtseln. Keine anstrengenden Sachen, was man so macht, wenn mit 87 die Energie nachlässt. Glöckner ist immer noch ein kräftiger Mann mit dröhnender Stimme. Auf seine Hände ist er stolz, schwielige Pranken, rechts fehlt eine Fingerkuppe, Handwerkerschicksal. “Aber alles fit wie eh und je”, sagt er und wackelt mit den Fingern. Nur seine Beine machen nicht mehr richtig mit, vor allem, wenn der Frost zwickt.

Ihre Werkstatt ist noch eingerichtet, aber Wolfgang und Erika Glöckner sitzen nur noch selten hier. Ihr Gewerbe ist abgemeldet. "Die Arbeit fehlt sehr."

Ihre Werkstatt ist noch eingerichtet, aber Wolfgang und Erika Glöckner sitzen nur noch selten hier. Ihr Gewerbe ist abgemeldet. “Die Arbeit fehlt sehr.”
© ZEIT ONLINE

Im Erzgebirge ist es über Nacht Winter geworden. Seiffen sieht nun aus wie in den Werbekampagnen, die jeden Dezember Tausende Touristen in den Ort holen: eine Weihnachtslandschaft wie im Märchenbuch. Auch das Heim der Glöckners steht da wie ein bezuckertes Pfefferkuchenhaus. Vor dem Eingang türmen sich Schneewehen. Trotzdem rafft sich Wolfgang Glöckner aus seinem Sessel auf. “Komm Eri, wir schauen mal rüber”, ruft er.

Auch seiner Frau Erika, 84, fällt das Gehen schwer. Sie halten sich nun noch mehr aneinander fest. Vorsichtig tippelt das Paar los, nur ein paar Meter nach nebenan, in die Werkstatt. Hier haben sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht. 58 Jahre Arbeitsteilung als Spielzeugmacher. Sie ist die Ruhige, er der Sprücheklopfer. “Ich habe im Erdgeschoss die Zuarbeiten gemacht, meine Frau im ersten Stock die Montage. Geht nach oben, da sitzt die Chefin, hab’ ich immer zu den Kunden gesagt.”

Die Werkstatt ist kalt. Aber noch immer sieht alles so aus, als wäre gleich Schichtbeginn. Auf dem Arbeitstisch liegen Werkzeuge und Figuren, winzige Spielzeugmenschen aus Holz. In den Regalen penibel beschriftete Kisten: Beine aus Ahorn, Arme aus Robinie, geschnitzte Pudelmützen für Schlittenfahrer. Reste, die für immer Einzelteile bleiben, denn der Spielzeugbetrieb Glöckner hat vor einem Jahr die Produktion eingestellt. Nach vier Generationen ist Schluss. Es gibt ein Erbe, aber keinen Nachfolger.

Seiffen, das Spielzeugdorf. So steht es auf den vielen Werbeschildern. Busladungen Touristen rollen im Advent heran, aus dem Sauerland, von der Nordseeküste. Es gibt nur noch 2.300 Seiffener, die Einwohnerzahl sinkt wie fast überall hier in der Provinz. Im Sommer liegt das Dorf vergessen im Gebirge. Nur im Advent drängeln sich bis zu 6.000 Touristen täglich.

Es gibt Gassen voll mit Weihnachtsläden, die Schaufenster vollgestopft mit Nussknackern. Die Touristen wollen urtümliches Handwerk sehen und kaufen. Seiffen, das war schon immer ein Sehnsuchtsort der guten alten Zeit. Kernland der Handarbeit, das ganze Dorf eine riesige Manufaktur. Nur die Zeit hat auch hier vieles verändert.

Junge Leute verlassen den Ort

Die Glöckners öffnen ab und zu für Touristen ihre Werkstatt, “als Dienst für den Ort”. Das Kunsthandwerk gehört zur Identität des Erzgebirges, einer der ärmsten Regionen im Land. Jahrhundertelang lebte man im letzten Zipfel von Sachsen vom Bergbau. Als die Bodenschätze versiegten, besannen sich die Einheimischen auf das, was es sonst noch im Überfluss gab: das Holz in den Wäldern. Es gab Phasen, da war fast jede Familie in der Gegend ein Familienbetrieb. “Männelmacher”, so heißen sie hier. Überall wurde gedrechselt, gesägt, geklebt. Die Schnitzkunst ist bis heute ein vitaler Wirtschaftszweig.

Die guten Nachrichten: Neben dem Handwerk hat sich ein Netz flexibler Mittelständler im Baugewerbe und in den Technikbranchen etabliert. Die Arbeitslosenquote liegt erstmals bei nur 4,7 Prozent. Zum Bild gehört allerdings auch: Im Erzgebirgskreis ist das Einkommen deutschlandweit am niedrigsten – durchschnittlich 2.191 Euro brutto pro Monat. Viele Dörfer schrumpfen und altern rapide. Manchen fehlt eine ganze Generation, die nach dem Mauerfall weggezogen und nie zurückgekehrt ist. Bis heute gehen junge Leute wegen besserer Jobs und Gehälter fort. Wie sehr sie fehlen, merken auch die Seiffener. Familienbetrieb, das ist heute ein Wunschbild, das sich nicht so einfach umsetzen lässt.

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