Dieser Film aus
den Disney-Studios will zurück. In der Welt seiner Figuren scheint die Zeit
stehen geblieben zu sein, aber kaum hat er begonnen, sehnen sie sich noch weiter
zurück, weil früher alles besser war.
Und als sie
gerettet werden müssen, vor dem Verlust ihres ererbten Eigentums aus grauer
Vorzeit, muss dazu die Zeit angehalten werden. Und als das Zeitanhalten
gelungen ist, in einer Mischung aus klassisch-amerikanischer
Selbsthilfe-Akrobatik und Disney-Magie, braucht es für die Rettung trotzdem
noch den Auftritt eines Tattergreises, der mehr Herz hat als die bösen
Karrieristen der neuen Generation.
Nur die
Vergangenheit kann uns retten. Nur die Magie kann uns zurückzaubern in die
rettende Vergangenheit. Der Alte kann es noch! Er bekommt sogar noch ein
Stepptänzchen auf dem Schreibtisch hin. Der Film ist lang, sehr lang, und
jetzt, kurz vor Schluss, fürchtet man, selbst als Greis wieder aus dem Kino zu
steppen.
Letzte Warnung an die rumorende Jugend
Ich kann es noch! Das ist ist ein Satz, den wir in unserem alternden Land immer öfter hören
werden. Schon heute brauchen wir viel Kraft und Geschick, um die Greise, die
ihr “Ich kann es noch!” rufen, ganz lieb aus ihren Ämtern zu tragen. Und ist
nicht auch das große Hollywood-Filmmusical so ein Greis? Ich kann es noch,
ruft dieser Film, der Mary Poppins’ Rückkehr heißt. Wer bringt ihn ins Bett?
Vor 54 Jahren war Mary Poppins so etwas wie eine letzte Warnung an
die rumorenden Jugendkulturen, ein letzter Versuch, die bürgerliche
Kleinfamilie mit einer Mischung aus Güte und Strenge zu retten – “wenn ein
Löffelchen voll Zucker bittre Medizin versüßt, / rutscht sie gleich noch mal so
gut”. Aber das zaubernde Kindermädchen konnte Hippiebewegung und Kommune I
nicht verhindern.
Die neue alte
Mary steht nun vor den erwartbaren Familientrümmern. 25 Jahre nach
ihrem Abmarsch aus der Familie Banks an der Londoner Cherry Tree Lane sind die
Banks-Kinder traurige Slacker. Jane ist irgendwie in der Arbeiterbewegung aktiv
und kichert sonst viel. Michael ist als Kunstmaler gescheitert, und zwar völlig
zu Recht, wie man nach einem kurzen Blick auf eine seiner Zeichnungen leider
sagen muss. Außerdem ist seine Frau gestorben, er kommt nicht mit seinen drei
Kindern klar, und die Bank will ihm das Haus seiner Eltern wegnehmen. Also
marschiert Mary Poppins wieder auf, wirft die Kinder in die Badewanne und
entführt sie in eine Zauberwelt (mit Delfinen!).
Emily Blunt spielt
Mary Poppins. Es muss schwer sein, eine Rolle auszufüllen, deren einzige
Aufgabe der Rückbezug auf das Original aus dem Jahr 1964 ist. Zurück, zurück!
Die Anstrengung ist der Schauspielerin anzumerken, und man freut sich jedes
Mal, wenn sie atmet.
Dick van Dyke
(93) spielt den steppenden Rettungsgreis. 1964 war er Bert, der singende und
tanzende Schornsteinfeger. Seinen Nachfolger Jack, den singenden und tanzenden
Lampenanzünder, spielt Lin-Manuel Miranda, der Schöpfer und Star des
Broadway-Erfolgsmusicals Hamilton. Schön übrigens, dass das London des Jahres
1935 in Mary Poppins’ Rückkehr ausschließlich von Gaslaternen beleuchtet
wird, wie sie dort im Jahr 1808 eingeführt wurden. Die Elektrifizierung der
Straßenbeleuchtung haben die Disney-Studios wieder zurückgefahren, sie würde
nur stören.
Am Ende lassen
sich alle von der greisen Angela Lansbury einen Ballon verkaufen und fahren in
den Himmel auf, um sich wieder wie Kinder zu fühlen. Natürlich ist diese
Idealisierung der magischen Kinderzeit, in die man sich sein Erwachsenenleben
lang zurückzusehnen hat, tief in die Psychopathologie des Studiogründers Walt Disney eingeschrieben, seine Biografen singen davon ihre Lieder. Er ist nun
auch schon 51 Jahre tot. Egal, zurück, zurück!
Das ist
handwerklich alles Donnerwetter, tadellos, allererste Sahne. Auf der
Pressevorführung wurde das englische Original gezeigt, und besonders die
Liedtexte sind manchmal atemberaubend (der deutschen Synchronfassung wünschen
wir an dieser Stelle viel Glück). Da gibt es nirgendwo etwas auszusetzen, alle
Beteiligten hätten mit ihren Spitzenleistungen auf den Gebieten Blasmusik und
Humptata, Tränentuch und Tralala in den Dreißiger-, Vierziger-, Fünfziger- und
frühen Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts eine tolle Karriere
verdient gehabt. Was sie in unserem Jahrzehnt, in unserem Jahrhundert, in
unserem Jahrtausend zu suchen haben, bleibt völlig schleierhaft. Oder kurz
gesagt: WTF???
Vielleicht wird Mary Poppins’ Rückkehr trotzdem ein rasender Erfolg. Der Erfolgsfilm für eine
Zeit, die nicht mehr möchte, dass die Zeit vergeht. Unsere Leichen leben noch.
Unsere Leichen können das noch. Traurige Weihnacht.
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