Wer beim Kochen zu ehrgeizigen Performances neigt, sieht zu Weihnachten besondere Herausforderungen nahen. Dabei kann das ganze Jahr über eine Menge in der Küche schiefgehen, wie diese Geschichten zeigen. Der beste Trost ist: Wer sich kulinarisch nicht übernimmt, kann jeden Abend genießen. Für andere ist das natürlich schon wieder die größte denkbare Enttäuschung.
Das Reh im Späti
Meine beiden Schwestern kochen hervorragend, ich habe Freunde, bei denen unter fünf Gängen gar nichts geht. Ich hingegen bin in der Küche eine Blenderin, die sich mit wenigen ausgefallenen Gerichten durchmogelt. Diese biete ich selten an, damit sich der Effekt nicht abnutzt. So jammert das Umfeld immer mal wieder zuverlässig nach meinem thailändischen Rind-Glasnudel-Salat oder nach der in bitterem Kakao gewälzten Hähnchenbrust.
Dass ich letztes Jahr die ganze Familie zum Weihnachtsessen geladen hatte, war also reinstes Hasardspiel. Es sollte langsam gegarte Rehkeule mit orientalischen Gewürzen und einer Füllung aus Walnuss, Aprikosen und Sellerie geben, weil ich Gans zu schwierig fand. Haha.
Das Wild bestellte ich bei einem Jäger in Thüringen, den mir ein kochender Freund empfohlen hatte. Der Jäger hatte jede Menge Reh in der Truhe, nur keine Zeit, das Paket aufzugeben. Er versprach, den Dorfpolizisten damit zu betrauen. Wir alle telefonierten dann noch oft miteinander, das tiefgekühlte, thermoverpackte Express-Fleischpaket ging nämlich am 22.12. irgendwo zwischen Farnroda und Prenzlauer Berg verloren.
Am 23. Dezember meldete sich der Polizist aus seinem Dienstwagen, wo er zufällig den Sendungsbeleg mitsamt -nummer wiedergefunden hatte, mit der ich nun online beim Lieferunternehmen nachspüren konnte. Das Reh hätte eigentlich persönlich an mich ausgeliefert werden sollen, lag aber, wie sich herausstellte, schon seit gestern in einem Spätkauf bei mir um die Ecke: Wegen eines herrenlosen Koffers hatte das Viertel abgesperrt werden müssen, Bombenalarm. Als ich das herausgefunden hatte, war es zu spät für den Späti, und ich pumpte wie ein Maikäfer.
Am Heiligen Morgen gelang es mir tatsächlich, das Paket – in dem es zum Glück erst langsam taute – ausgehändigt zu bekommen, auch wenn mir die Sendungsbenachrichtigung fehlte (die nach Weihnachten eintreffen sollte) und das Personal meinen Ausweis so intensiv studierte, als sei ich die mit dem Koffer gewesen.
Mich hatte das alles dermaßen apathisch gemacht, dass ich die Zubereitung des Rehs streng nach Rezept vornahm und nebenbei nach Pizzerien googelte, die am ersten Weihnachtstag offen haben könnten. Niemand war erstaunter als ich, dass sich der orientalische Rehrücken am Ende als außergewöhnlich köstlich herausstellte.
Carmen Böker
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